Das Auge der Wüste: Das Geheimnis von Askir 3 (German Edition)
traten vor. Vielleicht rechneten sie wirklich damit, dass der Mann auf dem Boden liegen blieb, bis sie ihn packten. Auf jeden Fall waren sie nicht schnell genug. Der Mann rollte sich zur Seite, ergriff den Spieß, sprang auf und ließ die Waffe in einer Art um sich herumwirbeln, wie ich es bisher nur einmal gesehen hatte. Bei Kennard, als Zokora sich mit ihm gemessen hatte.
Die glitzernde Spitze des Spießes beschrieb einen Halbkreis, und die Soldaten blieben stehen.
»Ihr werdet nicht entkommen, Mörder«, sagte einer der Soldaten.
Aus der Menge traten zwölf Personen über das Seil hinweg und schlugen ihre Mäntel auf oder die Kapuzen nach hinten. Sie zogen Armbrüste unter ihren Umhängen hervor und knieten sich hin, die Waffen auf den Mann gerichtet.
»Beugt Euch der Gnade und Gerechtigkeit des Hauses des Löwen, und Ihr erhaltet einen schnellen Tod«, sprach der Soldat weiter. Faihlyd bewegte sich nicht, ihre Augen betrachteten den Mann mit dem Spieß für einen Moment, dann schaute sie wieder eindringlich in die Menge. Es war mir, als suche sie etwas oder jemanden.
Plötzlich glättete sich das angstverzerrte Gesicht des Mannes und er stand gerader. Seine Augen zogen sich zusammen, und er musterte die Prinzessin nunmehr hasserfüllt und nicht mehr verängstigt. Faihlyds Reaktion überraschte mich: Ihr Kopf schnellte herum, von ihm weg, ihre Augen lagen auf jemandem in der Menge.
Ich versuchte ihrem Blick zu folgen, sah aber nur die Menschenmasse.
»Gnade? Ihr sprecht von Gnade? Ihr sollt sie erhalten!«, rief der Mann und sprang nach vorn.
Die meisten der Bolzen trafen den Mann. Er hätte fallen müssen, aber vor meinen entsetzten Augen sah ich ihn weitergehen. Einer der Wächter stürzte sich auf ihn, und der Abwehrschlag mit dem Spieß war so gewaltig, dass er den Soldaten von den Beinen fegte, als wäre er eine Puppe. Kein Mensch verfügte über solche Kraft.
Ein Bolzen ragte aus der Stirn des Pflegers, dennoch ging er weiter, den hasserfüllten Blick auf Faihlyd gerichtet.
Die anderen Wachen stürmten auf ihn los. Er holte aus und warf den Spieß. Ein Spieß war eigentlich zu schwer für einen Wurf. Dennoch hätte die Waffe ihr Ziel erreicht, wenn nicht eine Klinge sie im Flug zur Seite geschlagen hätte.
Ich selbst war auch schon in Bewegung gewesen, vielleicht mit der Absicht, Faihlyd zur Seite zu stoßen oder den Spieß abzuwehren. Wahrscheinlich teilten Leandra und Janos meine Absichten, denn auch sie bewegten sich.
Womöglich wären wir schnell genug gewesen, so weit stand die Prinzessin ja nicht von uns entfernt. Ein Wächter hatte sich ebenfalls vor sie geworfen, so mochte es sein, dass der Spieß den Soldaten getroffen hätte, der sein Leben für die Prinzessin geben wollte.
Aber es war Sieglindes Klinge, Eiswehr, die den Spieß im Flug zur Seite schlug, Eiswehr, ein Bastardschwert, geworfen auf einen Spieß!
Faihlyd hatte sich gar nicht gerührt, als wäre dieser unheimliche Angriff nichts. Ihre Augen waren noch immer in die Menge gerichtet. Von dort ertönte ein Schrei, und der Mann mit dem Bolzen in der Stirn zuckte zusammen.
Jetzt erst wandte sich Faihlyd ihm zu. Sie lächelte.
»Wie …?«, röchelte der Mann, dann fiel er, noch während ihn ein Soldat schwer mit einem Schwertstreich traf. Der Körper stürzte zu Boden und lag still, er war schon länger tot.
Der Greif gab einen Ruf von sich, der keine Übersetzung brauchte. Es war Triumph.
Ein klingendes Geräusch ertönte, als Eiswehr über die Steinplatten schlitterte und in die Hand seiner Herrin sprang, die es in seiner Scheide versenkte, bevor die Soldaten sie als eine neue Bedrohung ansehen konnten.
Die Prinzessin Faihlyd stand da und wartete, denn das Schauspiel war noch nicht vorbei.
Vor ihr teilte sich die Menge, und sechs Wächter erschienen. In ihrer Mitte trugen sie einen Mann, dürr und hager, mit blassen, eingefallenen Wangen und tiefen Augen.
Seine Hände fehlten, die blutigen Stümpfe waren mit Leder abgebunden. Blut lief aus seinem offenen Mund, wo der Stumpf einer Zunge blutete, kleine Holzsplitter waren ihm in die Augäpfel getrieben, die blutige Tränen weinten.
Aus fünf Lanzen wurde ein Gestell errichtet, über dem Leichnam des toten Pflegers. Der blutende Mann wurde an dieses Gestell gebunden. Alle sahen dem Schauspiel gebannt zu.
Faihlyd gab einem der Wächter ein Zeichen. Der Mann trat hinter sie, löste etwas in ihrem Nacken und zog aus ihrem Gewand eine schwere goldene Kette hervor, an der
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