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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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Musik ein internationales Phänomen war. Schwierig wird es nur im Bereich der eigentlichen Volksmusik, und dort haben wir einige bemerkenswerte Rekonstruktionen, die vornehmlich das Werk eines hervorragenden jungen Fachmannes in der Abteilung sind, eines gewissen Theodor Markow.«
    »Wie der Zufall spielt, war er gestern abend zum Essen bei uns«, sagte Petrowsky.
    »Welch eine Überraschung! Was halten Sie von ihm?«
    »Ich war sehr günstig beeindruckt. Seine Belesenheit ist außerordentlich, und wenn seine Kollegen nur die Hälfte seines interpretatorischen Könnens zuwege bringen, können Sie sich gratulieren.«
    »Freut mich, das von Ihnen zu hören«, sagte Mets, sobald er sich vergewissert hatte, daß die letzte Bemerkung frei von Ironie war. »Um den Faden wiederaufzunehmen, die Oper liegt gegenwärtig außerhalb unserer Möglichkeiten hier, aber das läßt sich verschmerzen. Bildende Kunst und Musik sind zureichend. Architektur und Innendekoration – da sieht es schlecht aus. Wir haben nicht annähernd das Geld und das Personal, was wir benötigen würden. Das Problem besteht darin, daß unsere Ziele von Leuten vorgegeben sind, die allzuweit von der Realität entfernt leben. Von Bürokraten. Die Abteilung hat ihr Bestes getan, aber vergebens. Ich erbitte daher Ihre formelle Zustimmung, diese Abteilung zu schließen, das geeignete Personal den anderen Abteilungen zuzuweisen und die übrigen nach Hause zu schicken.«
    »Aber Sie sind Moskau verantwortlich, lieber Mets, nicht dem Distrikt.«
    »In Disziplinarfragen unterstehen wir Ihnen als Chef der Distriktsverwaltung. Die Schließung einer Abteilung könnte als Schädigung des Ansehens und Mißachtung der Kompetenzen der Aufsichtsbehörde ausgelegt werden.«
    »Ja, theoretisch wäre das möglich. Und noch vor zehn Jahren, als ich hier anfing, hätte ich solche Erwägungen in Betracht ziehen müssen, aber heute nicht mehr. Es spielt heutzutage keine Rolle, was die Engländer von uns denken.«
    »Dann darf ich annehmen, daß die Erlaubnis gewährt ist?«
    »Ja, ja.«
    »Ich danke Ihnen … Nun, zwei der verbleibenden drei Abteilungen, Theater und Literatur, machen gleichmäßige Fortschritte. Ich bin nur ein wenig in Sorge, daß gleichmäßig in der verbleibenden Zeit nicht ganz ausreichen wird, da wir so weit zurück anfangen mußten. Unsere Erwartungen waren nicht hoch, berücksichtigt man, daß Gegenstände dieser Art in den Schulen nicht gelehrt werden, aber schließlich ist die Analphabetenquote auf 69 Prozent gesunken, und man sollte meinen, daß durch Überlieferung dies und das bewahrt worden sei. Unsere Lehrer mußten ihnen jedes zweite Wort erklären. Nun wäre das bei einem mehr als vier Jahrhunderte alten Theaterstück nicht überraschend, aber angesichts der Aufzeichnung …« – der Beauftragte sah in seinen Papieren nach – »aus den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und der vergleichsweise neuen Sekundärliteratur scheint das doch ziemlich seltsam. Immerhin vertraue ich unseren Leuten, die Engländer sind lernwillig und nicht dumm, und wir machen respektable Fortschritte. Gute Gründe, Hoffnung zu zeigen.
    Auf dem Gebiet der Religion sind die Reaktionen schwach und gering an Zahl. Als wir uns ein erstes Mal mit dem Ersuchen um die leihweise Überlassung von Dokumenten und anderem Material zur Liturgie an die Bevölkerung wandten, um zu rekonstruieren, wie der Gottesdienst wirklich ausgestaltet wurde, nicht nur, was gesprochen und gesungen wurde, war die Reaktion gering. Ich erwartete damals, daß sie im weiteren Verlauf zunehmen würde, aber das war ein Irrtum. Sie verlor sich bald ganz, auf nichts und niemand. Da bekannt ist, daß Religion den meisten Engländern in früherer Zeit wenig oder nichts bedeutete, bin ich sehr daran interessiert, die Gründe in Erfahrung zu bringen.«
    Das Stillschweigen trat gerade rechtzeitig ein, um Alexander daran zu hindern, daß er sich entschuldigte und den Raum verließ. Wie die Dinge lagen, zog er die Brauen zusammen und stellte eine nachdenkliche, beunruhigte Miene zur Schau. Nach einigen Augenblicken sagte er mit leiser Stimme:
    »Darf ich einen Vorschlag machen, Papa?«
    »Bitte.«
    »Sie werden selbst daran gedacht und die Überlegung vielleicht als wenig wahrscheinlich abgetan haben; ich meine Vorkriegseinflüsse.« Unter einem ›Vorkrieg‹ verstand man nicht gerade logisch, aber praktisch und allgemein, ein Mitglied der einheimischen Bevölkerung, das früh genug geboren war, um einen

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