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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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Aussagen mit irgendeiner Gewißheit zu machen, weil niemals ein englischer Überlebender gefunden worden war, noch ein englischer Zeuge jener Ereignisse; das Dorf war während der Pazifizierung ein russischer Militärposten gewesen, und seine Einwohner hatte man in benachbarte Dörfer evakuiert. Bald darauf hatten die Behörden den Ort (möglicherweise im Zuge einer Maßnahme, die zu den Ereignissen jenes Tages und der darauffolgenden Nacht in Beziehung stand) amtlich in New Kettering umgetauft, aber das hatte sich bei den Bewohnern der Gegend nicht durchgesetzt, und heute nannten selbst die Russen das Dorf Henshaw.
    Die Straßendecke war im mittleren Teil bemerkenswert eben, was vor allem der sorgsamen Ausbesserung der zahlreichen Schlaglöcher mit Schutt und Kies zu verdanken war. Kränkliche junge Bäume, deren Stämme mit Maschendrahtumhüllungen geschützt waren, standen in Abständen von zwanzig Metern entlang den Straßenrändern. Die Gebäude, ein- bis zweistöckig und überwiegend aus Holz (es hatte damals reichlich Bauholz gegeben) waren Ergebnisse englischer Arbeit unter russischer Aufsicht und spiegelten nichts von den traditionellen Hausformen beider Länder wider. Sie waren schmal, mit den Giebelseiten der Straße zugekehrt, und hatten wenige kleine Fenster. Jene Architektenschule, die vor einem Jahrhundert verordnet hatte, daß eine allein an der Zweckmäßigkeit orientierte Bauweise zugleich schön sein müsse, wäre von den Ergebnissen solch zielbewußter Ablehnung des Überflüssigen vielleicht stark beeindruckt gewesen. Dunkle Grau- und Brauntöne herrschten vor, doch bildeten Ladenschilder und gestrichene Türrahmen da und dort hellere Farbtupfer.
    Die Menschen, die man zu dieser Stunde sah, waren fast ausschließlich Frauen und allesamt in sehr ähnlicher Art gekleidet. Viele von ihnen standen Schlange vor dem Gemüseladen (wo es Kirschen und Beerenobst gab) und der Fleischerei (es war der Frischfleisch-Tag). Sie lächelten, begrüßten einander, tauschten Klatschgeschichten aus, lachten sogar. Das Wetter versprach wieder schön zu werden, Ehemänner und Söhne würden mit ihrem Mittagessen zufrieden sein, und allgemein waren die Verhältnisse nicht schlechter als letztes Jahr, es gab sogar Verbesserungen, deren jüngste die Einführung eines dritten Frischfleisch-Tages in der Woche war. Manche hatten die Alten von Streiks sprechen hören, nicht selten mit dem Zusatz, daß die Russen, was immer sie sonst getan, jedenfalls solchen Erscheinungen ein Ende gemacht hätten, und die Nachdenklicheren, welche sich aufrichtig um die Vorstellung bemühten, wie sie einen Streik durchstehen würden, verspürten ein tröstliches Wohlbehagen. Als Alexander durch das Dorf ritt, blickten viele der Bewohner zu ihm her. Ein Mann mittleren Alters berührte seine Hutkrempe, obwohl die Verordnung, welche dies vorschrieb, längst außer Kraft gesetzt war. Die Blicke der Menschen waren ohne Furcht, ohne Respekt, ohne Feindseligkeit, und nur ein offensichtliches Vorkriegspaar, Mann und Frau, kehrten ihm in ermatteter, welk gewordener Abneigung den Rücken.
    Alexander kümmerte nichts davon; er lenkte sein Pferd eine kurze Seitengasse hinauf, an deren Ende ein etwas größeres und von den anderen Gebäuden isoliertes Haus stand. Man konnte mit einem Blick sehen, daß es älter war als die der Pazifizierung; tatsächlich entstammte es einer viel früheren Epoche, hatte rote Ziegelmauern, einen kleinen Vorgarten und zwischen Gartentor und Eingang einen gepflasterten Weg zwischen Ziegelsäulen, die ein mit weißen und blauen Blüten behangenes Spalier trugen. An den Rändern der kleinen Rasenflächen und unter den Fenstern des Hauses blühten mehr Blumen in verschiedenen Farben. Rechts neben der Haustür befand sich ein hölzernes Namensschild mit der Aufschrift Dr. J.J. Wright, praktischer Arzt, und die Sprechstunden unter der entsprechenden Inschrift in kyrillischen Buchstaben. Alexander überließ die Zügel einem zwölfjährigen Jungen, der ihm mit der Hoffnung auf eine kleine Belohnung von der Dorfstraße gefolgt war, und bediente energisch den Türklopfer aus Messing.
    Sehr bald erschien ein ungefähr zwanzigjähriges Mädchen. Sie hatte blondes, von der Sonne strähnig gebleichtes Haar, funkelnde braune Augen mit grünlichen Flecken und rosige Gesichtsfarbe. Gemäß Ninas Vermutung hatte sie auch ein hübsches Paar Brüste. Sie sah sehr gesund aus und trug einen blauen Rock mit weißer Bluse.
    »Liebling, wie schön,

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