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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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1993, wie Sie sehen. Sie war schon einige Jahre vorher außer Gebrauch, aber noch nicht entweiht.«
    Alexander nickte. Wie seltsam alles aussah, wie das Zeugnis einer anderen Zivilisation, ohne jede Ähnlichkeit mit den noch bestehenden Theatern oder anderen öffentlichen Hallen jener Zeiten. Selbst solche Einrichtungen, deren Funktion offensichtlich war, wie etwa die Bankreihen, wo die Kirchenbesucher gesessen haben mußten, wirkten in ihrer Erscheinungsform beinahe widernatürlich seltsam. Vielleicht konnte man diese Formen auf die östlichen Ursprünge des Christentums zurückführen, aber wenn es so war, dann mußten alle Abkömmlinge jener Familie, wenn es je eine solche gegeben hatte, ausgestorben sein. Als kleiner Junge war Alexander einmal in eine Kirche in Sewastopol geführt worden, und er glaubte sich jetzt zu erinnern, daß er damals das gleiche Gefühl des Fremden, beinahe Unmenschlichen verspürt hatte. Und doch hatte dies alles den Menschen vieler Länder einmal genug bedeutet, daß sie bereit gewesen waren, dafür zu sterben – und einander die Schädel einzuschlagen. Vor langer Zeit, wie Mets gesagt hatte. Von welcher Art das Bewußtsein der Menschen auch gewesen sein mochte, es mußte sich im Laufe der Zeit bemerkenswert verändert haben.
    Die zehn Minuten mußten bald um sein, aber als er gehen wollte, kam ein kahlköpfiger Kerl mit einer Schürze zum Aufseher geeilt und sagte aufgeregt und mit starkem englischen Akzent:
    »Herr, draußen sind eine Menge Soldaten. Ich glaube, Sie sollten lieber …«
    »Das ist schon in Ordnung, guter Mann«, sagte Alexander sanft. »Das sind meine Jungs.«
    An der Tür entdeckte er zu seiner Überraschung, daß er die Mütze abgenommen hatte; er konnte sich nicht daran erinnern. Bei seinem Wiedererscheinen gab Ulmanis den Männern Befehl, die Sattelgurte festzuziehen und sich zum Abmarsch bereitzuhalten, und Warsky verscheuchte behutsam die Dorfkinder, die sich eingefunden hatten, um in den Sätteln zu sitzen und Zehnpfund-Münzen zu erbetteln. Alexander erläuterte eine taktische Übung für den Ritt zurück und nannte einen Bezugspunkt auf der Karte als Versammlungsort; diesmal wurden für diejenigen, die den Treffpunkt als Erste erreichten, keine Preise ausgesetzt. Innerhalb einer Minute war der Kirchhof leer, und die Hufschläge verloren sich in der Ferne. Plötzlich erklang ein Glockenton vom Kirchturm, wurde drei- oder viermal wiederholt und verstummte dann, und die Dorfkinder wunderten sich auf dem Heimweg, was das Läuten zu bedeuten habe.

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SIEBEN
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    Als seine Tagesarbeit getan war, ging Fähnrich Petrowsky langsam durch den Park zur Offiziersmesse seiner Schwadron, die in einem kleinen Bauernhaus aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts untergebracht war. Im Erdgeschoß gab es ein Speisezimmer, das für die sieben Offiziere gerade groß genug war und allenfalls noch drei Gäste aufnehmen konnte, ferner ein gemütliches, niedriges Gesellschaftszimmer mit einer kleinen Bar in der Ecke und eine geräumige Küche nebst Vorratskammer. Das ausgebaute Obergeschoß enthielt gute Unterkünfte für den Schwadronskommandeur, Major Yakir, seinen Stellvertreter, dazu fünf Schlafkammern für Subalternoffiziere. Als einer, der nicht im Quartier schlief, wenn er nicht zu betrunken oder träge oder mit seiner Familie zerstritten oder angesichts schlechter Wetterverhältnisse abgeneigt war, nach Haus zu reiten, hatte Alexander die schlechteste Schlafkammer, die ihm auf eigenen Wunsch zugewiesen worden war, wie er sich gern einredete, obwohl tatsächlich der Major so verfügt hatte, ohne ihn zu konsultieren.
    An diesem Abend wie an allen derartigen Abenden hatte der Bursche eines Offizierskameraden ihm gegen Bezahlung seine Ausgehuniform zurechtgelegt. Er duschte in dem winzigen Bad, legte die Uniform an und ging hinunter in den Gesellschaftsraum. Nach seinem abwechslungsreichen und anstrengenden Tag fühlte er sich körperlich so wohl wie selten zuvor. Sein geistiger und emotionaler Zustand war, wenn überhaupt, kaum komplizierter: Theodor Markow sollte diesen Abend herunterkommen, und Alexander wußte schon jetzt eine Menge Fragen, die er ihm stellen sollte.
    Eine angenehme Brise bewegte die blauweißen Baumwollvorhänge des Gesellschaftsraumes. Als Alexander hereinkam, blickte ein stattlicher dunkelhaariger junger Mann seines Alters von dem langen zitzbezogenen Sofa auf, das dem Fenster gegenüberstand, und seine Miene wechselte von mißmutiger

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