Das Auge des Basilisken
verherrlicht. Die Zweifel, die ihn anfänglich geplagt hatten, ob sein Kirchweihzeremoniell zur Wiedereröffnung der Kirche – es gab im ganzen Land keinen Weihbischof – gültig sei, diese Zweifel fielen ganz von ihm ab. Insgeheim dankte er dem jungen russischen Offizier, der ihn gedrängt hatte zu tun, was er heute getan hatte.
Nach dem Schlußsegen kam seine Enkelin und führte ihn aus der Kirche. Er hörte nicht, wie die Orgel mitten im abschließenden Solo verstummte, als das Windwerk versagte. Noch hatte er bemerkt, daß von mehr als zweihundert Personen, die zu Beginn des Gottesdienstes versammelt gewesen waren, nur elf bis zum Schluß ausgeharrt hatten. Manche waren schon nach den ersten fünfzehn Minuten gegangen, aber den größten Exodus hatte es in den ersten Minuten der Predigt gegeben. Sie waren so leise wie möglich gegangen, und ohne Aufhebens; dafür hatten sie zuviel Respekt.
Kitty war eine von den elf, die geblieben waren, weil ihr Vater geblieben war. Mit Zustimmung und einiger Zärtlichkeit betrachtete sie den alten Geistlichen, als er sich langsam durch den Mittelgang bewegte. Unter seiner dunklen Jacke trug er einen seltsam ungeteilten weißen Kragen ohne Schlips und ein schwarzes Hemd. Er lächelte. Auch sie lächelte; es war ein sehr erfreuliches Ereignis gewesen, das friedliche Empfindungen in jenen wachrief, die es zu würdigen wußten. Leider waren es die wenigsten.
Joseph Wright lächelte nicht. Eine Stunde vor dem Beginn des Gottesdienstes hatte er angefangen, Kitty anzutreiben, sie solle sich fertigmachen, dann waren sie mit dem kleinen Zweisitzer in einem Tempo hergefahren, daß die Pferde durchgegangen waren. Voll hochgestimmter Erwartung hatte er das eröffnende Orgelsolo über sich ergehen lassen, alles zu seiner eigenen Überraschung. Er hatte keine Ahnung gehabt, was er eigentlich erwartet hatte, war sich aber im klaren darüber, daß es nicht stattgefunden hatte; er hatte aus purer Hartnäckigkeit bis zum Ende durchgehalten. Nun erst begriff er, daß er seit jenem Abend, als Glover sich bereit erklärt hatte, den Gottesdienst zu halten, ein wachsendes emotionales Engagement damit verknüpft hatte. Und nichts war geschehen, absolut nichts, so eindeutig und endgültig, daß die Chance irgendeines bedeutsamen Ereignisses, irgendeiner Veränderung, für immer vertan war. Dies war der Tag, da Wright endlich verzweifelte.
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SECHZEHN
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»Welch ein herrlicher Tag!«
»Alles eigens für dich aufgeboten, mein Liebling. Der Sonnenschein macht dich schöner denn je; er bringt die Farben in deinem Haar zum Vorschein.«
»Er bringt auch die Sommersprossen auf meiner Haut zum Vorschein. Ich nehme an, du wirst sagen, du hättest sie nicht bemerkt.«
»Du unterschätzt mich. Wenn ich sagte, ich hätte sie nicht bemerkt, dann würde ich sie ja mißachten. Tatsächlich sind sie ein wichtiger Bestandteil deiner Schönheit.«
»Liebster Theodor, ich glaube wirklich, du solltest versuchen, in deinen Schmeicheleien ein wenig wählerischer zu sein.«
»Damit tust du mir unrecht: ich bin äußerst wählerisch. Sollte ich jemals auf ein Stück von dir stoßen, das ich nicht schön finde, dann werde ich darüber schweigen.«
»Da wirst du eine große Auswahl haben.«
Nina hatte es gedankenlos dahingesagt. Als sie es bedachte, hielt sie den Atem an und wandte den Kopf zur Seite. In diesem Augenblick drängte sich ein solch lebhaftes Vorstellungsbild, darin sie sich selbst in Theodors Armen liegen sah, in ihr Bewußtsein, daß es ihr schwerfiel zu glauben, daß es nie geschehen war, daß ihre engste körperliche Intimität ein Kuß gewesen war, eine Umarmung, die niemand hätte anstößig finden können, oder, besser gesagt, eine ziemlich dichtgedrängte Serie von Umarmungen. Als sie ihm davon erzählt hatte, hatte Alexander Überraschung gezeigt oder vorgetäuscht und indirekt (aber deutlich genug) angedeutet, daß es nichts als das Ergebnis mangelnder Triebkraft sein könne, besonders von Seiten Theodors. Als hätte er ihre Gedanken erraten, stand Theodor in diesem Augenblick schnell auf und erstieg die Ziertreppe zu dem kleinen Sommerpavillon, der einen angemessen kleinen Sarkophag enthielt. Zu beiden Seiten des Bauwerks waren verschiedene Schößlinge und die Stümpfe von Zedern, Eichen und Kiefern zu sehen.
»Wer liegt hier begraben?« fragte er.
»Ich weiß es nicht, Liebling. Ist es denn ein Grab? Es scheint nicht groß genug, nicht wahr?«
»›Zur Erinnerung an
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