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Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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wie Vincent Riebeck hätte wenigstens ein ordentliches Sportrad besessen, oder? Doch das hier stammte aus dem vergangenen Jahrhundert. Damit musste ich dann durch den Wald brettern, bis ins Dorf, wo ich im Laden gleich zur Schnecke gemacht wurde, was mir denn einfiele, warum ich so spät käme. Es war vielleicht elf Uhr oder so, aber schließlich hatte mein Onkel nicht gesagt, wann ich dort antanzen sollte. Außerdem kann man in einem Rock nicht so gut Fahrrad fahren.
    „Um halb acht. Kannst du dir das vorstellen? Ich meine, wir haben Ferien, und ich soll schon um halb acht im Laden sein! Wenn ich vorher noch frühstücken will, und dann noch der Weg mit dem Fahrrad - es ist ja auch nicht so, dass jemand mich hinbringen würde, ich bin da ganz auf mich gestellt! Soll ich um halb sieben aufstehen, in meinen Sommerferien?“
    Rico lachte leise und betrachtete kopfschüttelnd die böse Hexe, und schließlich konnte ich nicht anders und lachte mit.
    „So richtig sauer war die alte Schachtel, als ich telefoniert habe.“ Auf Tatjana würde ich noch zwei Wochen warten müssen! Um den Urlaub mit ihren Eltern kam sie nicht herum, da half nichts. Solange musste ich es ohne sie aushalten. „Ob ich denn meinem Arbeitgeber die Zeit stehlen wollte? Dabei haben wir nur eine halbe Stunde geredet. Und welcher Arbeitgeber, hallo? Ich hab mich nicht um diesen Job gerissen. Soll sie mich ruhig rausschmeißen, stört mich doch nicht.“
    Er hörte mir zu, und da war wieder dieses feine Lächeln, das ich nicht deuten konnte. Stimmte er mir zu oder lachte er mich aus?
    Es machte mich wütend und unsicher, dass ich das nicht wusste. Für eine Weile verstummte ich, dann brach sich der Ärger Bahn.
    „Und du?“, fuhr ich ihn an. „Was tust du hier eigentlich? Das hast du mir immer noch nicht verraten.“
    „Ich wohne hier“, sagte er.
    „Ach, wirklich? Letztes Mal hast du noch behauptet, du würdest hier nicht arbeiten.“
    Er strich sich die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. „Tu ich auch nicht.“
    „Aha. Aber du wohnst hier. Was bist du dann, ein Gast?“
    „Nein“, widersprach er, diesmal mit etwas mehr Nachdruck. „Ich … wohne hier.“
    Er schaute an mir vorbei auf meine Skizzen. Auf dem Blatt, das er aufgeschlagen hatte, waren mein Vater und Onkel Vincent zu sehen, der eine traurig und deprimiert, der andere fröhlich und energisch.
    „Ich bin hier“, flüsterte er, und so, wie er das sagte, überkam mich ein komisches Gefühl, als wäre mir etwas ungeheuer Wichtiges entgangen, oder als hätte ich einen Traum gehabt, an den ich mich nicht mehr erinnern konnte.
    „Welches Zimmer hast du denn?“, fragte ich nach. Vielleicht war er der Sohn eines Geschäftspartners von Onkel Vincent, und dieser hatte es aus irgendeinem Grund vergessen oder nicht für nötig gehalten, uns einander vorzustellen.
    Rico wies vage in Richtung der Bäume.
    „Du zeigst gerade auf eine Eiche“, stellte ich fest. „Sag bloß. Wie ein Eichhörnchen siehst du eigentlich nicht aus.“
    „Bist du schon mal auf die Idee gekommen, um den Stamm herum zu gucken?“, fragte er.
    Lachte er nun über mich oder mit mir? Ich wusste es immer noch nicht. Aber so schlimm schien er mich nicht zu finden, sonst hätte er sich nicht erneut mit mir unterhalten, oder? Das Grundstück war groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen, wenn man wollte. Er hätte ja auch auf dem Rasen irgendetwas anderes machen können, Golf spielen oder so.
    „Da hinten ist der Garten“, meinte ich. „Grünes Gras und ein paar Rasensprenger. Und dahinter …“ Ich starrte ihn an, denn über den Baumwipfeln erhob sich ein hellrotes, moosbedecktes Ziegeldach und durch die Büsche schimmerten verwitterte Mauern. Was hatte Inga gesagt? Schuppen, Lagerhäuser, ein Kutscherhaus. Alles voller Spinnen und Motten. „Da lebt aber doch keiner. Oder?“, fügte ich vorsichtshalber hinzu.
    Er blätterte weiter in meinem Buch. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob mich das störte oder ob mich sein Interesse freute. Für meine Eltern waren meine Zeichnungen nur Kinderkram.
    „Ich will Cartoons zeichnen“, sagte ich. „Ich meine, beruflich.“
    „Talent hast du jedenfalls“, meinte er, und bei diesem Lob wurde mir ganz warm. „Was ist das für ein Hase?“
    „Oh, das ist der Hund meiner Freundin. Ihr Handtaschenhund. Seine Ohren sind ziemlich groß im Vergleich zu allem Übrigen. Aber mit meinem Talent ist es wohl doch nicht so weit her, wenn du einen Hund mit einem Hasen … He, du

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