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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Mann war hier und hat dies für dich abgeliefert«, sagte er. »Ein Uigure, glaube ich. Er sagte, sein Name sei Mao.«
    Jakli nahm den Beutel nur zögernd, aber als sie ihn öffnete, verwandelte die Vorsicht sich schlagartig in Freude. Sie zog ein Pferdezaumzeug hervor, dessen prächtige schwarze Lederriemen mit Silber verziert waren. »Nikki!« rief sie und rannte dann die Straße hinunter.
    »Ich habe mit dem Mao gesprochen«, sagte Lokesh, stützte sich auf den Besen und blickte Jakli hinterher, die in Richtung der Viehställe verschwand. »Kublai wurde außerhalb der Stadt begraben. Es kamen viele Leute, und sie riefen immerzu den Namen dieser Frau. Niya.« Er nickte zur gegenüberliegenden Straßenseite, wo jemand erst kürzlich eines der Plakate von Niya Gazuli angeklebt hatte, die Shan bereits vom Marktplatz kannte. »Außerdem soll ich dir ausrichten, daß einer der Schuhe des Jungen gefehlt hat. Der Mao sagte, du würdest schon verstehen.« Aber Shan verstand überhaupt nichts. Es war, als sei der Mörder hinter Schuhen her.
    Lokesh schaute wieder zu dem Plakat, als würde er sich mit der rothaarigen Frau verständigen. »Auch die Kriecher haben an der Bestattung teilgenommen. Das muß man sich mal vorstellen. Die Kriecher kommen, um einen Jungen zu beerdigen.«
    Als sie Jakli bei den Gehegen wieder einholten, vollführte sie mit Marco soeben einen Freudentanz. Der eluosi schwenkte das Zaumzeug über dem Kopf. Dann fielen die beiden sich in die Arme.
    »Ist Nikki zurück?« fragte Shan.
    Marco nickte lebhaft. »Noch nicht ganz. Aber er hat die Grenze überschritten und befindet sich in der Nähe. Die Packtiere sind langsam. Er hat jemanden vorausgeschickt.« Dann hielt er plötzlich inne und sah Jakli an. »Es gibt viel zu tun. Nur noch eine Woche.« Er zurrte das Geschirr der Kamele fest und summte dabei eine Melodie.
    »Jetzt wird alles gut«, sagte Jakli und streichelte Sophie. »Nikki wird Rat wissen. Nikki kann.« Die Worte erstarben ihr auf den Lippen.
    An der Vorderseite des Schuppens war eine Gestalt aufgetaucht, ein verdreckter Junge mit zerzaustem schwarzem Haar. Sein schmutziges rotes Hemd war an mehreren Stellen zerrissen, und sein ausgemergeltes Gesicht zeugte von großer Erschöpfung und Angst.
    »Batu!« rief Jakli und sah ihn erschrocken an.
    »Ich bin einfach nur gerannt«, sagte der Junge keuchend. »Ohne Ziel. Einfach nur gerannt. Ich habe angehalten und etwas getrunken, und dann bin ich weitergelaufen.« Seine Stimme zitterte, und er schaute sich fortwährend um. »Dann habe ich euch auf der Straße gesehen und bin euch gefolgt.«
    Jakli sprang vor und umarmte das Kind. »Der Clan«, sagte sie und drückte den Kopf des Jungen an ihre Brust. »Wo ist dein Clan?«
    »Ich habe von den toten Jungen gehört. Letztes Mal wurde auch ein Lamm ermordet«, erwiderte der Junge mit einem langgezogenen Schluchzen. »Falls das Ding auch hinter mir her ist, will ich nicht, daß es zu dem Clan kommt. Die Leute sind gut zu mir gewesen. Und auch sie haben Lämmer.« Er blickte zu Jakli auf.
    Batu. Shan brauchte die Liste der zheli nicht aus der Tasche zu ziehen, denn er hatte sich die Namen eingeprägt. Batu War der dritte Junge von oben. Der nächste.
    »Ich habe nichts getan«, sagte Batu und mußte wieder schluchzen. »Warum will denn jemand.«
    Jakli hielt den Jungen auf Armeslänge von sich, um ihn anzuhören. Dann legte sie ihm einen Finger auf den Mund und brachte ihn zum Verstummen. Sie drückte ihn und streichelte seinen Kopf. »Khoshakhan, khoshakhan«, flüsterte sie. Das Wort, um die Lämmer zu trösten. Dann sah sie erst Marco und Shan und schließlich Lokesh an. Ihr Antlitz war ernst und entschlossen.
    »Ich muß gehen«, sagte sie. »Ich muß den Maos bei der Suche nach den anderen helfen. Sie kennen sich dort nicht so gut aus wie ich.« Sie wandte sich an Shan. »Ich weiß vielleicht, wo die Schattenclans sind.«
    »Ich komme mit«, rief Lokesh aufgeregt, ohne den Jungen aus den Augen zu lassen. »Ich muß ihn finden.«
    Jakli musterte den alten Tibeter mit feuchten Augen. Einen Moment lang glaubte Shan, sie würde auch Lokesh umarmen und das Trostwort murmeln. »Nein«, sagte sie entschieden wie zu einem Kind. Dann legte sie Lokesh eine Hand auf die Schulter und schob ihn sanft auf Shan zu.
    »Ich gebe euch für den Jungen etwas zu essen mit«, bot Marco an und griff in eine seiner Satteltaschen.
    »Aber ich bleibe in der Stadt«, sagte Shan mit einem besorgten Blick auf Lokesh. »Ich

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