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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Felswände des Turms heulte und das Feuer leise knisterte. Nach langer Zeit regte sich der Lama. Er nahm eine Schöpfkelle und goß damit langsam Wasser über dem Steinhaufen aus. »Das sind Shans Grundsätze«, sagte Gendun ernst, als der Schmutz weggespült wurde. »Die Eigenschaften des Wassers.«
    Als es hell genug war, um den Pfad erkennen zu können, brachen sie auf, ohne sich von Marco zu verabschieden. Knapp eine Stunde später sah Shan den Rauch. Er machte die anderen darauf aufmerksam und wollte sein Pferd wenden, aber Lokesh hob die Hand. Marco hatte sein Haus angezündet. Sie würden nicht rechtzeitig eintreffen, um es zu retten oder um ihn zu retten, falls er ins Feuer gegangen war. Shan stieg ab und beobachtete hilflos, wie die Flammen sich über die Gratlinie erhoben und die Umrisse des steinernen Turms hervortreten ließen. Sogar aus dieser Entfernung konnte er das Prasseln der großen Balken hören, die dem Inferno Nahrung gaben, und er hatte den Eindruck, an der obersten Brustwehr würde eine Gestalt stehen. Dann drehte der Wind, hüllte den alten Turm vollends in Feuer und Rauch, und Marco war verschwunden.
    Die stämmige Frau in dem Restaurant in Yutian kochte einen Schafskopf, während Fat Mao am Küchentisch saß, die Tasten seines Computers bearbeitete und Mao die Schwalbe anbrüllte, weil es ihr nicht gelungen war, das aktuelle Verzeichnis der Neuzugänge des Lagers Volksruhm zu besorgen. Das sei gleichgültig, erwiderte sie, denn man habe Jakli zweimal auf der Straße nach Kashi gesehen. Die Einsatzkommandos brachten sie anscheinend in das dortige Sonderbüro der Öffentlichen Sicherheit. Danach wurde Jakli ins lao gai wandern. Dagegen dürfte das Lager Volksruhm wie ein Hotel wirken, fügte die junge Kasachin hinzu.
    Fat Mao bedachte sie mit einem unheilvollen Blick, bis ein lautes Klopfen an der Tür die Maos hastig in das Kellerversteck stürzen ließ. Die stämmige Frau öffnete den Riegel, woraufhin Mao der Ochse und ein weiterer Mann eintraten. Sie zerrten eine dritte Gestalt mit sich, der man einen Jutesack über den Kopf gebunden hatte.
    Wortlos führten sie den Gefangenen die Kellertreppe hinunter, vorbei an Gendun und Lokesh, die meditierend in einem Lichtfleck am vorderen Fenster saßen. Jowa stand auf und verschwand ebenfalls nach unten, leise gefolgt von Shan. Die Maos setzten den Mann auf einen Stuhl am Tisch und nahmen den Sack ab. Das Gesicht ihres Opfers war auf einer Seite übel zugerichtet, und aus der Nase lief etwas Blut in den Schnurrbart und über das Kinn. Es war Wangtu.
    Fat Mao umrundete schweigend den Tisch.
    »Ich wurde auf freien Fuß gesetzt«, versicherte Wangtu eilig mit ängstlicher Stimme und sah den Anwesenden nacheinander in die Gesichter. »Die Anklägerin hat mich zu Lau befragt, und dann wurde ich aus dem Lager Volksruhm entlassen. Ich wußte nicht, wie ich in die Stadt kommen sollte, also habe ich vorgeschlagen, ich könnte doch auf dem weißen Pferd bis zur Sammelstelle reiten und es dort abliefern.«
    »Nein«, knurrte Fat Mao. »Man hat es dir als Bezahlung für eine Gegenleistung gegeben. Du hast ihnen irgend etwas verraten.«
    Wangtu senkte den Kopf. »Ich hasse sie«, sagte er mit hohlem Klang. »Sie sind meine Feinde. Ich kann euch helfen. Mir kommt so manches zu Ohren, wenn ich am Steuer dieser Wagen sitze.«
    Shan fühlte den Blick des Uiguren auf sich ruhen und erwartete, daß Fat Mao ihn nach oben schicken oder von den anderen wegbringen lassen würde. Aber der Mann drehte sich wieder zu Wangtu um.
    »Was davon ist gelogen?« herrschte er ihn an. »Daß du nicht mit ihnen zusammengearbeitet hast oder daß du uns helfen willst?«
    Shan stand auf, nahm ein Handtuch von einem Stapel in der Ecke und wischte Wangtu das Blut aus dem Gesicht. Niemand, nicht einmal Wangtu, schien Notiz davon zu nehmen.
    Der Fahrer starrte sie weiterhin ausdruckslos an. »Gelegentlich bekomme ich mit, wann Leute auf der Fernstraße herkommen. Wichtige Leute«, sagte er zaghaft. »Ich könnte eventuell dafür sorgen, daß gewisse Wagen unterwegs mit einer Panne liegenbleiben.« Er sah Fat Mao an. »Dieses Pferd war prächtig. Jakli hat sich sofort in das Tier verliebt. Ich wollte nur, daß sie es bekommt. Früher, als ich noch ein Junge war, gehörte es zum Brauch, daß Freunde anläßlich einer Hochzeit Pferde schenken. Versteht ihr denn nicht? Es war das letzte nadam.« Er musterte die grimmige Miene des Uiguren und wandte sich dann an Shan. »Haben Sie ihr Gesicht

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