Das Auge von Tibet
war. Der schlichte Stahlring, den Nikki getragen hatte.
Es hatte keinen Sinn, Einwände zu erheben, und es gab keine Möglichkeit, den von Marco in Gang gesetzten Prozeß aufzuhalten. Auch würde Shan es nicht schaffen, die Maos zum Bleiben zu überreden, damit sie in dem sich anbahnenden Chaos nach dem Wasserhüter suchen konnten. Falls man sie in der Nähe des Lagers erwischte, würde man sie als Saboteure verhaften oder sogar kurzerhand erschießen.
Die Maos warteten beim Lastwagen. Shan seufzte.
»Es tut mir Leid, Johnny«, sagte Marco. »So bin ich nun einmal. Gehen Sie. Gehen Sie schnell.«
Als er zurückkam, waren die Maos zur Abfahrt bereit. Erst nachdem das Haupttor einige Minuten hinter ihnen lag, erzählte Shan von dem Heizkessel. Fat Mao hörte ihm aufmerksam zu, klopfte dann an die Scheibe in der Rückwand des Führerhauses, und Mao der Ochse verringerte das Tempo. Gerade als er das Fenster herunterkurbelte, um etwas zu fragen, erschütterte eine Explosion das Tal. Der Lastwagen erzitterte. Oberhalb löste sich ein Felsblock, stürzte den Hang hinunter und rollte an ihnen vorbei. Mao der Ochse beschleunigte, bis sie die Hügelkuppe am Ende des Tals erreicht hatten, und hielt dann an. Sie befanden sich knapp fünf Kilometer vom Lager entfernt und konnten alles deutlich erkennen. Gewaltige Flammen loderten in den Nachthimmel. Das Heizungsgebäude und das Lagerhaus waren zerstört. Überall auf dem Gelände lagen glühende Trümmer. Unmittelbar darauf fing auch das Verwaltungsgebäude Feue r.
Eine halbe Stunde später liefen die Maos aufgeregt in ihrem Keller umher, redeten sich die Köpfe heiß, schmiedeten Pläne und verwarfen sie wieder, mutmaßten, was die Kriecher und die Brigade wohl als nächstes tun würden, und schienen dabei mit jedem neuen Vorschlag immer nervöser zu werden. Fat Mao rief ihnen mehrmals ins Gedächtnis, daß man den Clan des Roten Steins bereits in wenigen Stunden auflösen würde und daß ihr Plan nun unmöglich geworden sei. Mao der Ochse schlug vor, sie sollten feiern. Mao die Schwalbe saß am Tisch und starrte auf den leeren Computermonitor.
Shan sah dem Ganzen von der Treppe aus eine Viertelstunde zu, stand dann auf und setzte sich an den Tisch. » Falls Ihr Plan sich nicht mehr verwirklichen läßt, können Sie ihn mir ja ruhig verraten. Ich weiß, daß er etwas mit Lastwagen zu tun hatte, denn der Rote Stein wollte eines der Fahrzeuge stehlen.«
Fat Mao runzelte die Stirn, zuckte dann aber die Achseln und erklärte ihm alles. Die Herden sollten auf vier großen Viehtransportern nach Norden verfrachtet werden. Die Verteilung der Clanmitglieder stand ebenfalls fest - man würde die Kasachen in verschiedene Städte schicken, zumeist in Fabriken der Brigade. Die Schwalbe hatte alle Einzelheiten aus den Brigadecomputern heruntergeladen.
»Es sollte folgendermaßen funktionieren«, sagte der Uigure. »Die Brigade verkauft häufig Viehladungen nach Kasachstan. Allein in dieser Woche sollen zwölf Transporter im Westen die kasachische Grenze überqueren und dann die Fernstraße nach Alma-Ata nehmen. Die Schwalbe hat sich die Frachtnummern und die Codes der Ausfuhrgenehmigungen besorgt, die bereits alle überprüft und abgesegnet wurden. Die Grenzposten haben diese Nummern zur Kontrolle vorliegen. Jowa hat uns bei der Planung geholfen. Heute abend hat die Schwalbe einige neue Daten in das System eingespeist, damit morgen bei Arbeitsbeginn ihr Name nirgendwo mehr auftaucht. Irgendein anderer Büroangestellter wird den Vorgang bearbeiten und die Ausfuhrbestätigungen an die Brigadezentrale weiterleiten. Die vier Lastwagen mit den Herden des Roten Steins werden in den Computern die Freigabe zur Ausreise nach Kasachstan erhalten. Sie werden auch rechtzeitig beim Verladedepot der Tiere eintreffen, denn am Steuer werden unsere eigenen Fahrer sitzen.«
»Und wenn die Lastwagen mit den Schafen abfahren, wird der Clan sich auf den Ladeflächen verstecken.«
Fat Mao zuckte die Achseln. »Es ist ein kleiner Clan. Kasachstan stellt Flüchtlingen aus China Land zur Verfügung. Unsere Freunde werden neue Weidegründe erhalten und unter anderen Kasachen sein.«
»Aber die Lastwagen werden kontrolliert. Zuerst überprüft man die Papiere, und dann wird die Ladung inspiziert.«
»Deshalb war der Zeitpunkt ja auch so wichtig. Die Posten werden andauernd bestochen. Zu einer festgelegten Zeit wird übermorgen ein ganz bestimmter Leutnant der Grenzpolizei darauf warten, daß vier
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