Das Auge von Tibet
Viehtransporter bei ihm eintreffen. Er wird sich höchstpersönlich um die Abfertigung kümmern. Die Papiere werden stimmen, und er wird darauf verzichten, einen Blick auf die Ladeflächen zu werfen. Er hat eine Vorliebe für Schwarzmarktgüter. Marco hat ihn uns empfohlen.«
»Nur daß morgen die Daten nicht übermittelt werden, weil alles verbrannt ist«, sagte Shan.
»Jetzt bleibt den Angehörigen des Roten Steins nur noch übrig, ihre neuen Arbeitsstellen anzutreten und zu hoffen, daß uns irgendwann später eine neue Möglichkeit einfällt.«
Shan musterte die Gesichter der Maos. Die fröhliche Erregung beim Anblick des Feuers im Lager Volksruhm war niedergeschlagenen Mienen gewichen.
»Befindet sich unter Ihren Dateien aus dem Reislager auch das Verzeichnis des Friedhofs?« fragte Shan die Kasachin.
Mao die Schwalbe nickte langsam.
Er wandte sich an Fat Mao. »Können Sie Geld besorgen? Womöglich vier Panda-Münzen?«
Der Uigure nickte. »Wir bezahlen damit die Leute jenseits der Grenze. Sie alle bevorzugen Gold.«
Shan erläuterte ihnen seinen Plan. »Das einzige Problem besteht darin, daß Akzu und die anderen allesamt sterben müssen«, schloß er ernst.
Marco würde die Kasachen zusammen mit den Amerikanern herausbringen und benötigte dazu vier weitere Gold-Pandas für vier zusätzliche Boote. Allerdings durfte die Brigade keinen Wind davon bekommen, denn Rongqi konnte nicht zulassen, daß irgend jemand auch nur auf den Gedanken kam, die Kasachen würden sich dem Programm zur Beseitigung der Armut widersetzen. Also würde man die Namen und Kennziffern der Clanmitglieder gegen die Namen und Kennziffern von längst verstorbenen Häftlingen austauschen. Mao die Schwalbe bestätigte, daß nach diesem Feuer für eine Weile chaotische Verhältnisse herrschen dürften. Man würde eine provisorische Einsatzzentrale errichten und die Kasachin dorthin beordern, so daß sie Gelegenheit hätte, das ursprüngliche Friedhofsverzeichnis durch eine neue Datei zu ersetzen. Dann wären die Kasachen offiziell verschwunden. Gleichzeitig würde man andere Unterlagen dahin gehend ändern, daß die Gesamtzahl der von Rongqis Programm betroffenen und an die Brigadefabriken verteilten Personen unverändert blieb. Während seiner Zeit in Peking hatte Shan mehr als einen Regierungsbetrieb untersucht, in dem nicht vorhandene Angestellte auf den Lohnlisten standen. Es war eine verbreitete Gunstbezeugung an die Manager, die auf diese Weise die zusätzlichen Gehälter einstreichen konnten, ohne daß jemand sich beklagte. Man benötigte nicht allzuviel Phantasie, um zu der Überzeugung zu gelangen, daß auch Rongqi sich eines solchen Systems profitabler Phantome bediente, um seine Gönnerschaft zum Ausdruck zu bringen.
Die Maos besprachen fast eine Stunde lang die Risiken, bis die Schwalbe die Diskussion kurz entschlossen beendete.
»Das größte Risiko bei dieser Sache trage immer noch ich«, sagte sie und setzte sich mit frischen Disketten an den Computer. Wenig später erschien das Friedhofsverzeichnis des Lagers Volksruhm auf dem Bildschirm, gefolgt von einer Liste der dem Armutsprogramm zugewiesenen Angehörigen des Roten Steins. Sie alle sahen zu, wie die Schwalbe eifrig die Tastatur betätigte und dadurch nacheinander alle Clanmitglieder im Lager Volksruhm begrub.
Als sie kurz nach Tagesanbruch am Steinsee eintrafen, stand ein silbernes Kamel im Schatten der langgestreckten Düne, die den westlichen Rand der Senke begrenzte. Daneben lag eine große Gestalt unter einer Decke. Sie ließen Marco schlafen und bezogen zehn Meter weiter Position, kurz unter dem Kamm der Düne und ungefähr dreihundert Meter von der Stelle entfernt, an der die Straße in das Lager mündete. Fat Mao hatte sie hergebracht und bot an, bei ihnen zu bleiben, wobei er kurz eine Werkzeugkiste ansah, die auf der Ladefläche des Lasters stand. Shan war die kalte Wut des Uiguren nicht entgangen, und er befürchtete, daß die Kiste Waffen enthielt. Er bat Fat Mao, wieder aufzubrechen.
»Ihr braucht einen Plan für den Fall, daß der Junge es bis hierher schafft und dann die Kriecher auftauchen«, protestierte der Uigure.
Shan sah ihn für einen Moment durchdringend an. »Der Junge wird nicht herkommen, weil die Maos ihn vorher finden.«
»Bislang gibt es keine Spur von ihm. Diese dropkas , bei denen er sich aufhält, sind wie wilde Tiere. Sie können sich praktisch unsichtbar machen. Vielleicht bekommen wir sie überhaupt nicht zu Gesicht.«
Shan
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