Das Babylon-Virus
von Gerätschaften des schweren Bauhandwerks versammelt. Wenn Sie wohl so freundlich wären, sich an die Arbeit zu machen? Irgendwie kommen Sie mir heute Abend vor, als stände Ihnen der Sinn nach körperlicher Betätigung.«
Allerdings, dachte Amadeo. Duarte hätte den Kerl längst mit bloßen Händen erwürgt - wäre da nicht das halbe Dutzend Pistolenläufe von Görlitz’ Gorillas gewesen, die auf die beiden Männer in der winzigen Kapelle gerichtet waren.
Die Wallfahrtskapelle am Monte Vulture, ein heiliger Ort
schon zu Kaiser Friedrichs Zeit. Natürlich hatte der Kaiser sie gekannt, mitsamt der Darstellung eines heiligen Adlers. Der perfekte Wächter für sein Vermächtnis: ein Depot mit seiner persönlichen Vorlage der babylonischen Erzählung.
Amadeo hatte es gefunden.
Und Görlitz ebenfalls.
Halt suchend stützte sich der Restaurator gegen die Wand, knapp oberhalb des Hauptes der Gottesmutter.
Tag sechs
Das Haus der Spinne
Damit sind wir noch zwanzig, dachte Rebecca.
Vier der ISAF-Männer waren während der Nacht an der Grippe gestorben.
Jedenfalls war Rebecca aus ihrem Schlaf, der eher einer Ohnmacht geglichen hatte, nicht von Schüssen geweckt worden.
Reglos beobachteten die beiden Schwestern, wie die Soldaten Hügel aus Steinen über die Körper ihrer toten Kameraden häuften. Als Grabstätte hatten sie die kleine Hochfläche gewählt, die auf das Labyrinth in der gewaltigen Höhle blickte.
Das Haus der Spinne.
Der zusammengeschrumpfte Zug hatte gestern Abend hier Halt gemacht. Nachdem von den Aufständischen nichts zu sehen war, war ein Platz so gut wie der andere, und dieser hier bot sogar einen gewissen strategischen Vorteil.
Erst heute Morgen wollten sie ihren Marsch fortsetzen.
Alyssa gab ihrer Schwester ein Zeichen, und sie entfernten sich einige Schritte, damit die blonde Frau ihnen unauffällig die tägliche Dosis des Geheimdienstpräparats setzen konnte. Sie hatten jetzt noch achtzehn Tagesdosen - neun weitere Tage für sie beide, oder aber … Achtzehn Männer der Schutztruppe waren noch am Leben, den Oberst eingeschlossen.
Als die Frauen zu der Gruppe zurückkehrten, verharrten die Soldaten noch immer vor den Gräbern, lauschten, wie Merthes mit halblauter Stimme einige Worte sprach. Der Junge mit den Sommersprossen weinte ganz offen; mehrere der anderen standen offenbar kurz davor, wobei ein oder zwei von ihnen überhaupt nicht mehr stehen konnten, sondern mit glasigem Blick an den Felsen lehnten.
Die ISAF-Männer waren krank, jeder von ihnen. Sie hatten Fieber, sie schnieften, husteten, rangen nach Luft. Allerdings hatte noch keiner von ihnen irgendwelche sprachlichen Verwirrungen gezeigt. Keinerlei Symptome, die über das hinausgingen, was man bei einem Menschen mit hohem Fieber erwarten konnte.
Der Tod kam schneller als die speziellen Symptome der babylonischen Krankheit. Das Fieber reichte schon aus hier in der Wildnis, um den Männern den Rest zu geben. Die Anstrengung des Marsches, die unzureichende Versorgung …
Wie viele der Männer würden den heutigen Tag überstehen? Die Hälfte? Und die kommende Nacht?
Die beiden Schwestern warteten, bis Merthes seine Ansprache beendet hatte, dann nahm Alyssa den Oberst beiseite.
Als sie zwanzig Minuten später aufbrachen, hatte jeder der Männer eine Tagesdosis des experimentellen Präparats erhalten.
Das Haus der Spinne.
Die Szenerie hatte sich während der Nacht nicht verändert. Noch immer füllte fluoreszierendes Gewölk das Höhlengewölbe hoch über dem geschrumpften Zug der Überlebenden. Unstet zuckten elektrische Entladungen hin und her, warfen blitzschlagkurze Helligkeit mal aus dieser, mal aus jener Richtung. Als ob Sonnenlicht auf seidenfeinem Gewebe
glitzterte, das sich in der Morgenbrise sacht bewegte: fremdartig schön und fazinierend - und tödlich zugleich.
»Das Haus der Spinne«, murmelte Oberst Merthes. »Der Name passt jedenfalls.«
Sie befanden sich auf halber Höhe der Serpentinen. Der Kommandeur war stehengeblieben, setzte seinen Feldstecher an die Augen und spähte hinab über das Labyrinth. Wie weit mag es sein?, überlegte Rebecca. Wie weit bis zu dem dunklen Torweg, der am anderen Ende die Felswand durchbricht? Mehrere Kilometer jedenfalls. Das Tal der Gerüsteten, hatte Amadeo die letzte Station vor dem Ziel, dem Heilmittel, umschrieben. Wer waren die Gerüsteten ? Wächter des Heilmittels? Nein, die gerüsteten Wächter hatten sie schon kennengelernt, mit ihren Maschinengewehren,
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