Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
Vom Netzwerk:
Sinne des Wortes. Dieser Text … Er war ein Gedicht!
    Als der Menschen Schar dereinest
nach dem Osten auf sich machte,
wusst’ der Eine stets aufs Feinest,
was der And’re sprach und dachte.
Fröhlich im Vereine
rief man sich im Nu
hier das Allgemeine
stets im Urwort zu.
    »Was beim …«, murmelte Amadeo. Seine Augen glitten tiefer, doch in den folgenden Strophen konnte er nur hier und da einzelne Worte entziffern. Er blätterte vor auf die nächste Seite, suchte nach einem Anhaltspunkt, einer Bestätigung seiner Ahnung. Wie sich das anhörte, war das … Hier!
    Engel, eilet!
Dies zu enden
will ich senden
Pestilenzen.
Die ihr Krankheits Keim verteilet,
weiset mir dies Volk in Grenzen!
    Es gab keinen Zweifel: An dieser Stelle sprach kein Geringerer als der alttestamentarische Herrgott persönlich. »Dieselbe Geschichte!«, hauchte Amadeo. Ganz genau dieselbe Geschichte wie bei Einstein selbst: die Menschen, die sich zusammentaten, in Babel einen Turm erbauten und damit das göttliche Strafgericht heraufbeschworen in Form einer schrecklichen Seuche. Amadeo zweifelte nicht daran, dass auch in dieser Version am Ende Gott ein Einsehen hatte und ein Gegenmittel vorbeischickte.
    Was in Dreiteufelsnamen hatte das zu bedeuten? Das war das Geheimnis? Einstein hatte das jahrhundertealte Manuskript eines Gedichts versteckt und den Standort in einem Text verschlüsselt, in dem er genau dieses Gedicht in seinen eigenen Worten nacherzählte?
    Was war so unglaublich wichtig, so bedeutsam an diesem Gedicht? Von wem stammte es überhaupt? Irgendetwas an der Wortwahl, an der Form der Reime kam Amadeo vertraut vor. Es war die Stimmung des Gedichts, das Gefühl der Worte …
    Hastig blätterte er weiter. Die Schrift wurde immer undeutlicher,
als hätte der Verfasser zuletzt in großer Eile geschrieben. Als Amadeo die letzte Seite erreichte, waren seine Finger so feucht, wie sein Mund trocken war. Das Gedicht endete, und darunter waren einige Zeilen freigelassen, bevor sich noch ein Nachsatz anschloss. Auch das, dieses Schema, kannte er. Es war dasselbe Schema wie bei Einsteins eigenem Text, nur dass der Physiker seine Anmerkungen auf der Rückseite platziert hatte.
    Die Buchstaben dieser Nachbemerkung hier waren kaum noch zu entziffern. Einzig diejenigen ganz am Ende, in der Unterschrift, konnte Amadeo ohne Schwierigkeit lesen.
    Weil er diese Unterschrift kannte.
    Professor Helmbrecht besaß eine ganze Sammlung davon in seinem Institut in Weimar.
    J. W. v. Goethe , las Amadeo.
    Johann Wolfgang von Goethe.

Potsdam, Deutschland
    Steffen Görlitz spürte den Luftzug, als die Caféhaustür sich hinter Fanelli schloss. Er wartete noch einige Sekunden, dann ließ er seine Zeitung sinken.
    Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, bei dem die Kinder auf der Straße schreiend wegliefen, wenn sie es zu sehen bekamen.
    Wie oft er es verflucht hatte, dieses Andenken an den Tag in Rom: Es war nur ein Streifschuss gewesen, der seine linke Gesichtshälfte erwischt hatte, und doch ließen diese Narben sich kaum verbergen. Die Sonnenbrille, mehr war nicht zu machen. Genau diese Brille aber hatte gerade ihren Wert bewiesen, ebenso die grauenhafte Glatze, die er den Privatärzten verdankte.

    Er konnte es kaum fassen: Wie selbstverständlich war er ins Café spaziert und hatte sich zwei Tische von Fanelli entfernt niedergelassen. Ganz deutlich hatte er gespürt, wie der Blick des Restaurators kurz in seine Richtung huschte, sich aber eilig wieder abwandte. Und es hatte kein Erkennen in diesem Blick gelegen - im Gegenteil.
    Durch die Fensterscheibe folgten Görlitz’ Augen jetzt Fanellis Gestalt, die sich in Richtung Schlosspark wandte.
    Amadeo Fanelli. Es war Schicksal. Görlitz weigerte sich, an etwas anderes zu glauben. Zum dritten Mal kreuzten sich nun ihre Wege, wenn man die Zeit in Weimar mitzählte. Er, Görlitz, war Professor Helmbrechts rechte Hand gewesen und hatte die Nachfolge als Leiter des Instituts praktisch in der Tasche gehabt - bis Fanelli kam. Fanelli, der nicht mal vom Fach war! Kulturhistoriker! Theologe! Ja, Fanelli war gekommen - und wieder verschwunden. Doch danach war nichts mehr gewesen wie zuvor. Görlitz hatte seine Zelte in Weimar abgebrochen; ein neuer Lebensabschnitt, vielleicht doch noch die Chance auf eine Karriere. Und irgendwann hatte er auf der Gehaltsliste des Kardinalstaatssekretärs der Heiligen Römischen Kirche gestanden und war in einer ganz anderen Sache hinter Fanelli her gewesen. Doch nicht

Weitere Kostenlose Bücher