Das Band der Magie
sprechen. Jetzt führte ich wieder Selbstgespräche.
Weil es Keelin auch wieder besser ging, wartete ich jeden Abend darauf, dass er sich wieder verwandelte. Es überraschte mich daher nicht besonders, als es dann auch tatsächlich passierte, diesmal auf unserer winzigen Veranda.
Es war zurzeit ziemlich warm in der Hütte. Gefühlt waren es auch abends noch über dreißig Grad. Wir schliefen in diesen Nächten draußen, nur durch einen dünnen Zaun von der Wildnis um uns herum getrennt, aber ich hatte einen Shadun an meiner Seite – da würde uns schon niemand angreifen.
Ich war noch wach, aber Keelin schlief bereits. Da wurde er wieder zum Mensch oder Magiewesen. Diesmal blieb er volle fünf Sekunden so, ich zählte mit angehaltenem Atem mit. Eins, zwei, drei, vier, fünf … dann war er wieder ein Wolf.
In den nächsten Nächten passierte es immer wieder. Er war immer ein paar Sekunden länger ein Mensch, zum Schluss blieb er fast eine volle Stunde so. Viel Zeit, um ihn genauer zu betrachten.
Und er gefiel mir. Er gefiel mir sogar unfassbar gut, obwohl er wahnsinnig wild und ungepflegt aussah.
Er hatte eindeutig die Statur eines Shaduns: kräftig, aber beweglich. Ein etwas kantiges Gesicht, aber es stand ihm. Rabenschwarze Haare und diese merkwürdigen Striche von den Augen aus bis zum Haaransatz. Eindeutig kein Tattoo, sondern eine natürliche Zeichnung seiner Haut.
Seine Augenbrauen sahen natürlich aus wie Kraut und Rüben. Kein Wunder, wenn man ein halbes Jahrzehnt oder sogar noch länger ein Wolf war. Von seinem langen Bart ganz zu schweigen. Gruselig.
Ansonsten fielen mir noch seine riesigen Ohren auf, die aber fast unter seiner Mähne verschwanden, und die vielen Grübchen um seine Augen. Selbst wenn er entspannt schlief, schien er dadurch ein kleines bisschen zu lächeln. Allerdings blieb dabei ein etwas angespannter Zug um seine Lippen. Ich glaube, es waren Sorgenfalten, die sich da in seine Mundwinkel gegraben hatten. Außerdem hatte er eine lange Narbe quer über die Stirn und mehrere, etwas kürzere, auf seiner rechten Wange.
An seinem Hinterkopf fehlte ein ganzer Bereich Haare, als hätte sie jemand ausgerissen. Darunter schimmerte eine dunkle, knubbelige Narbe. Es musste eine tiefe, schreckliche Wunde gewesen sein.
Ich konnte ihn sogar anfassen, wenn er so aussah. Ich durfte ihm über das Gesicht streichen, ganz vorsichtig. Hauptsache, er wachte nicht plötzlich auf. Seine Haut war viel rauer als meine, an einigen Stellen sogar so rissig, weil sie ganz wund war. Als ich eine solche Stelle berührte, wachte er leider auf – und er war wieder ein Wolf.
Mein Ziel: Er musste aufwachen und sich nicht verwandeln. Das war der Schritt aller Schritte. Ich hatte nur keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte.
Einmal klappte es sogar für eine Sekunde. Er hatte die Augen geöffnet und ich schwöre, er blieb in seiner Gestalt, einen halben Atemzug lang. Ich schätze, er hatte es auch bemerkt, denn am nächsten Tag war er ganz fahrig und die folgenden Nächte verwandelte er sich nicht mehr.
Ich bekam in dieser Zeit des Nachts relativ wenig Schlaf und döste daher tagsüber vor mich hin. Es gab ja auch nicht so viel zu tun: Ich angelte mal, brachte die Hütte auf Vordermann, aber ansonsten war alles für den Winter vorbereitet. Die Männer hatten mir Tonnen von Holz in den Vorratsschuppen gebracht. Ich musste noch nicht mal Holzhacken!
Der Sommer verrann, es wurde wieder kühler – und ich agiler. Die Hitze hatte mir doch sehr zugesetzt. Parallel dazu nahm der Wind zu und ich hörte immer öfter die Luftgeister in den Stürmen jauchzen und kreischen.
Es war eigentlich ein ganz normaler Tag im schwindenden Sommer, als ich es während einer Wanderung hörte: Hufschlag. Mir blieb fast das Herz stehen. Keelin schnüffelte irgendwo seitlich in den Büschen herum, er hatte es aber auch gehört, denn fast sofort stand er an meiner Seite und lauschte.
Eindeutig Waris.
Bevor er mich zurückhalten konnte, rannte ich auch schon los. Meine Beine flogen nur so über das Farn, hetzten über Steine und Sträucher. Keelin joggte neben mir, als sei das Tempo nur leichter Ausdauersport. Er wirkte aber angespannt.
Ich folgte dem Klang des Hufschlags, der nur ganz leise zu hören war – immerhin befanden wir uns mitten im Wald und hier gab es nur gut gepolsterte Schleichwege. Keelin hätte mich gerne gestoppt, aber dafür hätte er mich schon rammen müssen.
Kurz bevor wir bei den Waris angekommen waren, wurde
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