Das Band der Magie
elendig verrecken in der Hoffnung, dass Keelin sie retten würde.
Phase acht brach ich ab, bevor ich anfing. Sie war zu schrecklich. Das war nicht mein Stil.
Phase neun und zehn … wenn alles nichts mehr half, dann …
Ich nahm mir eine Decke, setzte mich vor die Hütte und wartete. Und wartete. Und wartete. Tag und Nacht, Tag und Nacht, Tag und Nacht.
Phase neun war: Elendig verhungern und verdursten.
Phase zehn war: Sterben.
Wenn das Keelin nicht zur Besinnung brachte, wusste ich auch nicht weiter. Konnte mir dann ja auch egal sein. Ich war ja eh tot.
Meeha machte mich bei meinen letzten Phasen allerdings wahnsinnig. Sie strich immer wieder unruhig an meinen Beinen vorbei, hüpfte auf mir herum und brachte mir allerlei unverschämte Leckerbissen: Möhren, Beeren, Pilze und Knollen, alles bereits in ihren Hamsterbacken vorgekaut. Das Wasser spuckte sie mir kurzerhand ins Gesicht. Als auch das nichts half, riss und zerrte sie an mir, biss mich, kratzte mich und führte sich allgemein wie ein Berserker auf.
Ich blieb stur.
Irgendwann war sie verschwunden. Ich nahm an, dass sie beleidigt abgezogen war. Eine Waldgöttin hatte bestimmt besseres zu tun, als sich um ein selbstmitleidiges Mädchen zu kümmern, oder?
Wenn ich es mir rückblickend überlege, war das eigentlich der Moment, in dem Meeha … weniger tierisch wurde. Sie agierte plötzlich mit Hintergedanken, kümmerte sich, kommunizierte durch ihre Beißerei.
An jenem Tag überraschte sie mich dafür umso mehr. Denn sie war keineswegs fortgegangen, um sich ein neues Zuhause zu suchen – sie war los, um Keelin zu holen. Ich weiß nicht, wie sie es ihm begreiflich gemacht hat, aber die vielen Kratzspuren an seiner Schnauze sprachen Bände.
Er kam aus dem Dickicht herausgeschossen, als seien tausend Höllengeister hinter ihm her. Hinter ihm spazierte, fast gelangweilt, eine winzig kleine, rosa-rot gestreifte Maus.
Als Keelin mich erblickte, blieb er abrupt stehen. Ich muss schlimm ausgesehen haben, denn jetzt war ich völlig abgemagert und am Ende meiner Kräfte. Ich sah sogar fünf Keelins.
„Hey, Keelin!“, flüsterte ich. „Willkommen zu Hause.“ Dann wurde ich ohnmächtig.
Wir sprachen nicht mehr über meine Aktion. Keelin und Meeha waren furchtbar wütend auf mich, das ließen sie mich gut zwei Wochen lang deutlich spüren. Aber was sollte ich sagen? Ich hatte mein Ziel erreicht.
Ob ich mich tatsächlich zu Tode gehungert hätte? Ich glaube, ja. Wenn ich mich für etwas so Radikales entschied, dann zog ich es auch durch.
Ich ließ Keelin erst mal in Ruhe. Er war wieder da, das genügte mir. Er durfte von mir aus faul in der Sonne herumliegen, ständig war er im Weg, aber ich forderte ihn nicht auf, mir zu helfen. Er wirkte so weit weg – so tierisch wie am Anfang, viel tierischer, als Meeha es jemals gewesen war.
Zumindest interpretierte ich das zu diesem Zeitpunkt so. Erst später kapierte ich, dass das Gegenteil der Fall war.
Hatte der Besuch seiner Freunde den ganzen Weg, den wir bereits gegangen waren, zerstört? Ich wusste es nicht. Also fing ich wieder von vorne an.
Ich kraulte ihn an langen Abenden vor dem Feuer, forderte ihn immer wieder auf, mit mir herumzutoben und lud ihn zu langen Spaziergängen ein. Kraulen klappte gut: Er war süchtig nach Streicheleinheiten. Herumtoben war schon schwieriger und sehr einseitig. Ich attackierte ihn, er wich mir aus, lief mir aber nicht nach. Aber Spazierengehen war in Ordnung.
Ich hängte auch das Hirschgeweih ab, ganz ohne Aufforderung. Auch die Fallen landeten im Keller – den ich jetzt tatsächlich besaß. Er war zwar winzig, aber ein echter Vorratskeller!
Ich glaube, Keelin wollte mich mit seiner Passivität gar nicht bestrafen. Am Anfang war er schon beleidigt, weil ich mich ganz offensichtlich hatte umbringen wollen. Das war schon okay, da durfte er ruhig schmollen. Aber nachdem er mir das verziehen hatte, wurde es auf anderer Ebene komisch: Er wirkte, als befände er sich in einer ganz anderen Welt, als schlafwandelte er.
Ich wagte nicht, ihm Brahns Botschaft zu übermitteln. Die Gefahr, dass er dann ganz Tier wurde, war mir zu groß.
Vielleicht lag es auch daran, dass ich ihn jetzt anders behandelte. Es war, als sei meine ganze Welt aus den Angeln genommen worden.
Denn von nun an, konnte ich ihn nicht mehr nur als Wolf behandeln, mit dem ich herumtoben konnte. Er war ein Mensch! Ein Mann!
Und um ehrlich zu sein: Mein Körper reagierte allein bei diesem Gedanken auf eine
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