Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
Juliette ihm sagte, dass sein Vater nur zu Besuch war, Max’ Stimmung tat das keinen Abbruch.
Juliette wünschte, sie könnte die Zeit zurückdrehen und noch einmal die Jahre erleben, in denen sie ihren Söhnen Pu der Bär vorgelesen hatte, wo sie und Nathan die Jungs abends ins Bett gebracht und liebevoll zugedeckt hatten, als sie eine glückliche Familie gewesen waren.
Für Max war die Sache kein Problem. Aber als Juliette am Vorabend versucht hatte, mit Lucas über Nathans bevorstehenden Besuch zu sprechen, hatte der nur gesagt, sie solle ihn damit in Ruhe lassen, es interessiere ihn nicht. Aber seitdem Nathan eingetroffen war, schien ihr Großer sich allmählich zu entspannen.
Sie musste an die Worte ihrer Mutter denken. Vielleicht würde sie keinen Besseren als Nathan finden. Zumindest war niemand anders der Vater ihrer Söhne, und niemand anders würde sich solche Sorgen um die Jungs machen. Sie fürchtete sich jetzt schon vor den kommenden Jahren, malte sich das Schlimmste aus – Autounfälle, Drogen, schwangere Freundinnen. Nur Nathan konnte diese Ängste mit ihr teilen.
Ein alter Feuerwehrwagen fuhr an ihnen vorbei, gefolgt von einem mit Wimpeln geschmückten Müllauto mit knallroter Rundumleuchte auf dem Dach.
Ein kleines Mädchen in Brownie-Uniform marschierte mit ernstem Gesicht vorbei. Das Mädchen, das in jeder Hand eine Windmühle hielt und alle paar Schritte einen Hüpfer machte, erinnerte Juliette daran, wie sie selbst als Kind in der Parade mitmarschiert war. Sie war damals als Mitglied der Girl Scouts dazu ausersehen worden, die Flagge zu tragen, und hatte wochenlang im Garten für den großen Tag geübt.
Nachdem sie kilometerweit vor ihrer Gruppe hermarschiert war und sich in freudiger Erwartung der Straßenecke näherte, wo ihre Eltern saßen, hatten die gar nicht Ausschau nach ihr gehalten, sondern angeregt mit Freunden geplaudert. Ihr Vater hatte einen Arm um die Schultern ihrer Mutter gelegt. Juliette hatte ganz kurz die Augen geschlossen und versucht, ihre Eltern per Telepathie zu beeinflussen: Schaut her! Schaut her!
Schließlich hatte ihr Vater aufgeblickt und ihr lächelnd zugenickt. Dann hatte ihre Mutter geklatscht, die Hände hoch erhoben, aber das hatte Juliette nicht gereicht. Sie hatte sich gewünscht, dass sie nach ihr Ausschau hielten, anstatt sie nur zufällig zu entdecken.
Nathan stieß sie mit dem Knie an. »Danke, dass du mich eingeladen hast.« Er wirkte, als hätte sie ihm die Sterne vom Himmel geholt. Lag das daran, dass sie ihn abgewiesen hatte?
Ihre Mutter hatte immer gesagt, sie solle Nathan nicht so offensichtlich lieben. Liebe ihn nicht so abgöttisch , hatte sie ihre Tochter gewarnt , sonst wird er dich nicht abgöttisch lieben .
Während er sich jetzt nach ihr verzehrte – siehst du, Mom, er himmelt mich an –, wollte sie nichts weiter als ihr normales Leben zurück. Ihre gemeinsame Normalität. Wie vor diesem Desaster. Sie wollte die Vertrautheit zurück, die beim gemeinsamen Abendessen, beim gemeinsamen Zeitunglesen geherrscht hatte.
»Du hast den Jungs gefehlt«, sagte sie. »Sie sind es nicht gewohnt, ohne dich hier zu sein. Sie akzeptieren es nicht.«
»Tja, wenn ich nicht da bin, spielt niemand mit ihnen Basketball«, sagte Nathan.
»Mein Vater ist mit ihnen zum Angeln gegangen«, sagte Juliette. Nathan wirkte übermüdet. Sie fragte sich, was wohl der Grund für seinen Schlafmangel sein mochte. War es Sorge? Oder eher etwas anderes? Ein ausschweifendes Nachtleben zum Beispiel.
»Dein Vater angelt?« Nathan lachte. »Gordon? Ich hätte nicht gedacht, dass er überhaupt weiß, wie man Sport schreibt.«
Juliette zuckte die Achseln. Nathan stichelte gern gegen ihren Vater. Vielleicht weil sie beide Professoren waren. Vielleicht musste Nathan ihren Vater heruntermachen, um selbst besser dazustehen. Typisch Mann.
»Meine Mutter sagt, es ist gut für sein Herz.« Juliette hielt sich zum Schutz gegen die Sonne eine Hand über die Augen und sah sich nach den Jungen um. Sie sah, wie Lucas sich aufrichtete und sich in die Brust warf, als sich eine Formation Cheerleader näherte. Was würden ihre Söhne von Nathan über Frauen lernen? Sie fürchtete, dass ihre Vorstellung von Liebe leiden könnte, wenn ihre Eltern getrennt lebten.
Bevor Nathan ausgezogen war, hatten die Jungs ihren Vater verehrt. Jetzt umkreiste Lucas ihn wie ein wachsamer Hund, während Max ihm seinen Bauch darbot wie ein Welpe, der gekrault werden wollte.
»Ich würde dich gern
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