Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
eigentlich mit David?«
Tia hätte sich dafür ohrfeigen können, dass sie sich einmal von ihm zur Arbeit hatte fahren lassen. Genau in dem Moment, als David angehalten hatte, um sie aussteigen zu lassen, war Katie um die Ecke gekommen, und Tia war nichts anderes übrig geblieben, als die beiden einander vorzustellen.
»Der ist ein Freund.«
»Ein Freund mit Geld?«
»Einfach nur ein Freund.« Tia nahm ihr Notizheft und Mrs. Grahams Akte.
Zum dritten Mal steckte sie sich ein Ingwerbonbon in den Mund gegen die Übelkeit, die sie schon den ganzen Morgen plagte.
Sie musste David unbedingt loswerden. So schnell wie möglich. Und sich einen normalen Mann suchen.
Manchmal fühlte sie sich, als hätte Nathan ihr alles Leben ausgesaugt, und jetzt wusste sie nicht, wie sie die Leere füllen sollte.
Nach dem Sex hatten sie und Nathan stundenlang geredet. Seine Erzählungen von der Flucht seiner Eltern aus Ungarn hatten ihr eine Welt eröffnet, in der Geschichte lebendig wurde und die sie erstmals an Möglichkeiten denken ließ, die ihr vielleicht auch offenstanden. Längst vergessene Kindheitsträume waren wieder hochgekommen.
»Wahrscheinlich klingt das verrückt«, hatte sie ihm einmal gesagt, »aber als Kind wollte ich – lach bloß nicht – so jemand werden wie Elizabeth Blackwell. Ich meine, nicht dass ich unbedingt die erste Ärztin der Welt werden wollte, aber jemand Bedeutendes. Jemand, der das Leben anderer Menschen verändert.«
Anstatt sich darüber lustig zu machen, hatte Nathan nur gesagt: »Dazu ist es nie zu spät.«
»Also, ich schätze, dass es zu spät ist, bei irgendetwas die Erste zu sein«, hatte sie geantwortet.
»Es kommt nicht darauf an, wann man etwas tut, sondern ob man es tut.« Er hatte neben ihr gelegen, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und den Stadtplan von Paris betrachtet, der an der Wand gegenüber hing. »Warum Paris?«, hatte er gefragt.
Sie schob ein Bein über seins. »Weil ich glaube, dass das eine schöne Stadt ist.«
Kopfschüttelnd runzelte er die Stirn. »Das kaufe ich dir nicht ab. Stadtpläne wählt man immer aus einem bestimmten Grund aus. Willst du da hin?«
Sie hatte ihm nie erzählt, dass sie Angst vorm Fliegen hatte. Es gab sowieso schon zu viele Bereiche in ihrer Beziehung, wo sie die Schwächere war. Indem sie Paris mit einer Handbewegung abtat, stellte sie ihre Träume als unwichtig hin. »Es gibt so viele Orte, die ich gern besuchen würde. Aber ich weiß nicht, wie ich je hinkommen soll.«
Er drehte sich auf die Seite und zog sie zu sich herum, bis sie einander in die Augen sehen konnten. »Du kannst alles tun. Du bist eine begabte, intelligente Frau. Aber, und das ist ein großes Aber, du musst endlich anfangen, an dich selbst zu glauben.«
Das war nicht die Antwort gewesen, die sie sich erhofft hatte. Was sie wollte, war eine große, starke Hand, die ihr die Angst nahm.
Tia verstaute Mrs. Grahams Ordner in ihrem Beutel. Dann schob sie die Akten und Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zu ordentlichen Stapeln zusammen und legte ihre Liste mit den zu erledigenden Dingen obenauf. Nach dem Treffen mit Mrs. Graham würde sie die Ärmel hochkrempeln und loslegen. »Keine Sorge«, sagte sie zu Katie. »Ich gebe dir rechtzeitig Bescheid, wenn du dir ein Kleid für meine Hochzeit kaufen musst.«
Katie grinste, als hätte sie schon eine Idee, was sie zu Tias Hochzeit tragen wollte.
Manchmal fragte sich Tia, ob sie, was die zwischenmenschlichen Beziehungen in ihrem Leben anging, überhaupt irgendeinen Durchblick hatte. War es denkbar, dass Katie sie tatsächlich mochte?
Mit einem breiteren Lächeln als sonst drehte sich Tia beim Hinausgehen noch einmal um und winkte zum Abschied.
Mrs. Graham wartete bereits geduldig auf der Bank. Sie kam immer vor der Zeit, aber Tia hatte es aufgegeben, ihr zu erklären, dass das unnötig war, irgendwann hatte sie begriffen, dass Arztbesuche und die Termine in der Beratungsstelle die einzigen Lichtblicke in Mrs. Grahams Leben waren. Wenn sie früher kam, konnte Mrs. Graham ein bisschen länger das Gefühl haben, Teil dieser Welt zu sein.
»Guten Morgen, Mrs. Graham.« Tia warf ihren Beutel über die Schulter, tätschelte Mrs. Grahams Arm und schloss die Tür zum Beratungszimmer auf. »Marjorie«, flüsterte sie.
»Gestern ist schon wieder jemand gestorben.« Mrs. Graham folgte Tia ins Zimmer und stellte ihre Handtasche auf den Tisch.
»Das tut mir leid. Wer denn?« Wie alle ihre Klienten begann Mrs. Graham ihren Tag
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