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Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)

Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)

Titel: Das Band der Wünsche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Randy Susan Meyers
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mit dem Studium der Todesanzeigen, auch wenn es sich mittlerweile kaum noch lohnte. Sie hatte mehr tote Freunde als lebende. Die arme Mrs. Graham hatte fast niemanden mehr, nach dem sie suchen konnte.
    »Alma Kelleher.« Mrs. Graham seufzte traurig. »Wir waren zusammen auf der Saint Clare’s High School. Alma war die Hübscheste von allen.«
    »Ach Gott, das ist wirklich traurig.« Tia schwieg, während Mrs. Graham es sich in dem Sessel gegenüber von Tias klapprigem Freischwinger bequem machte. »Und wie geht es Ihnen heute?«
    »Nicht so gut.«
    »Wie kommt’s?« Tia überlegte, ob sie David ohne großes Theater loswerden konnte, vielleicht sogar, ohne mit ihm zu reden. Konnte sie die Beziehung per E-Mail beenden, oder waren sie dafür schon zu sehr liiert? Oder konnte sie besser noch einfach alle Anrufe, E-Mails und SMS ignorieren, alles, womit er sich in ihr Leben drängte.
    »Sam. Ich kann ihn kaum noch dazu bringen, dass er aufsteht, damit ich ihn … wenigstens ordentlich waschen kann.«
    Tia konzentrierte sich wieder auf Mrs. Graham und kritzelte »Hausbesuche für Sam« in ihr Notizheft. »Ihr Mann braucht Hilfe, darüber müssen wir sprechen. Das ist wichtig.«
    »Wenn Sie mir wirklich helfen wollen, dann besorgen Sie mir eine Putzfrau. Wie soll ein Mensch mit all dem zurechtkommen?«
    »Mit all dem? Geben Sie mir ein paar Beispiele.« Tia musterte Mrs. Graham. Klienten in Krisensituationen sahen in der Regel ungepflegt aus, waren häufig sogar ungewaschen. Aber Mrs. Graham hatte denselben dunkelroten Lippenstift aufgelegt wie immer, ihr Haar war zu der üblichen steifen grauen Helmfrisur toupiert, und ihre lavendelfarbene Strickjacke war sauber und knitterfrei.
    »Das Geschirr, die Wäsche, die Fußböden – glauben Sie mir, meine Liebe, im Alter wird die Hausarbeit nicht leichter.« Mrs. Graham umklammerte ihre lederne Handtasche und streichelte sie, als wäre sie ein Haustier.
    »Es tut mir leid.« Tia beugte sich vor und tätschelte Mrs. Grahams geäderte Hand. Sie wünschte, sie könnte die Frau in den Arm nehmen und auf einen Kreuzfahrtdampfer bringen, wo das Personal sie wie eine Königin behandelte. »Wir können Ihnen keine Putzhilfe stellen. Und gerade deshalb wäre es für Sie ideal, wenn Sie sich für betreutes Wohnen entscheiden könnten. Dann müssten Sie sich nicht mehr selbst um alles kümmern. Sam würde von Fachpersonal gebadet werden und …«
    Tia suchte nach den passenden Worten, Sams Zustand zu beschreiben – seine wachsende Abhängigkeit von Mrs. Graham in Bezug auf seine Körperhygiene –, ohne ihre Klientin vor den Kopf zu stoßen.
    »… Sie würden es in jeder Hinsicht bequemer haben.«
    »Wieso meint eigentlich jeder, Sam und ich sollten weggesperrt werden? Warum erschießt man uns nicht gleich? Oder setzt uns auf einer Eisscholle aus?«
    Tia rückte ihren Stuhl näher an Mrs. Graham heran, bestürzt darüber, dass sie die arme Frau so aufgebracht hatte. Es passte eigentlich gar nicht zu ihr, die Fassung zu verlieren. Tias Mutter hatte recht gehabt. Tia sollte ihre Zunge besser im Zaum halten. Sie ließ sich zu schnell zu unüberlegten Äußerungen hinreißen.
    »Glauben Sie mir, ich wollte damit nicht andeuten, dass Sie gebrechlich sind.« Mrs. Graham brauchte Anerkennung und keine Grobheiten; sie hatte das Recht, sich zu beschweren. »Im Gegenteil, Sie machen das ganz großartig. Die meisten, mit denen ich zusammenarbeite, könnten sich eine Scheibe von Ihnen abschneiden.«
    Sie ließ sich noch eine Weile lobend über Mrs. Graham aus, denn sie wollte sie mit einem positiven Gefühl nach Hause schicken, und tatsächlich wirkte die alte Frau besänftigt, als Tia ihr freundschaftlich die Schulter tätschelte, anstatt ihr zum Abschied nur die Hand zu schütteln.
    Um vier Uhr nachmittags, nach drei weiteren Terminen, einer Sitzung der Abteilung für Familie und Kinder, einem Besuch bei einem Klienten in einer Reha-Klinik und einem Hausbesuch, beschloss Tia, eine Stunde früher Feierabend zu machen. Damit Katie nicht schon wieder eine Bemerkung über die Unordnung auf ihrem Schreibtisch machte, quetschte Tia ihre restlichen Ordner und Unterlagen mit sanfter Gewalt in die unterste Schreibtischschublade.
    »Sag mal, Tia, soll ich dir vielleicht aufräumen helfen? Dein Schreibtisch ist ja das reinste Chaos«, hatte Katie vor ein paar Tagen zu ihr gesagt.
    »Kuck einfach nicht hin!«, hätte Tia am liebsten entgegnet, aber es war ihr zu peinlich gewesen – ihr Schreibtisch hatte

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