Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
fürchterlich ausgesehen. Ein solches Durcheinander ließ sich beim besten Willen nicht rechtfertigen.
Tia ging die Washington Street hinunter und schnurstracks ins Doyle’s. »Kaffee mit Schuss«, bestellte sie beim Barmann, der sie kaum wahrzunehmen schien. Es war ihr egal. Er wusste, was sie trank, und er schüttete großzügig ein.
Der erste Schluck tat richtig gut. Er wärmte ihr zuerst die Kehle, dann das Herz und schließlich den Magen.
Nach dem zweiten Schluck verblassten die Bilder von der traurigen Mrs. Graham und all den anderen Klienten so weit, dass sie wieder frei atmen konnte.
David glitt auf den Hocker neben ihr.
»Wie wär’s mit ein bisschen Gesellschaft?«, fragte er.
Tia musterte David. Er wirkte vollkommen ahnungslos. Wenn er jetzt etwas trank, würde er ihr Vorträge halten über das Übel der Mehrwertsteuer oder die langfristige Bedeutung des Euro, als hätte er auf diesen Gebieten die Weisheit gepachtet.
Er beugte sich vor, um sie zu küssen, was sie geschehen ließ.
»Bringst du mich nach Hause?«
Er griff nach ihrer Tasse. »Darf ich das austrinken, bevor wir gehen?«
Tia lächelte, bereit, David als ihr Schicksal zu akzeptieren. Sie breitete die Arme aus, als würde sie ihm jeden Gefallen tun. »Bedien dich.«
Er leerte ihr Glas und ließ dann seine Hand über ihren Rücken gleiten. »Genau das habe ich vor.«
In ihrem bedröhnten Zustand spürte Tia seine Hand kaum, und dafür war sie dankbar.
17. Kapitel – Tia
Tia, wir haben ein Problem.«
Nicht heute, bitte. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn Richard schon am frühen Morgen, noch ehe sie die Jacke ausgezogen hatte, den Kopf zur Tür hereinsteckte, um sich über irgendetwas zu beschweren. Sie hatte noch nicht einmal ihren Kaffee getrunken. Nach ihrem Besäufnis mit David letzte Nacht hatte sie einen fürchterlichen Kater.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
»Ja, ja. Ich hab’s gehört. Wir haben ein Problem.«
Glaubte er vielleicht, sie arbeiteten bei der NASA ? Sie nahm den Deckel von ihrem Kaffeebecher und trank einen gierigen Schluck.
»Wir haben ein ernstes Problem.«
»Okay.« Sie schüttelte ihre Jacke ab. »Kapiert. Wir haben ein ernstes Problem.«
»Lass deine Jacke an. Wir müssen gehen.«
»Gehen? Wohin?« Während sie Richard durch den engen Flur und die Treppe hinunter folgte, bemühte sie sich, den Deckel wieder auf dem Kaffeebecher zu befestigen.
»Zu einer deiner Klientinnen.«
Kaffee spritzte ihr auf das T-Shirt. Den Becher in der linken Hand haltend, versuchte sie, den Fleck abzuwischen, während sie die rechte Schulter hochzog, damit ihr die Handtasche nicht herunterrutschte.
»Und zu welcher genau?«, fragte sie in Richards Rücken. Auf seiner Tweedjacke befanden sich Hundehaare.
»Zu einer Mrs. Graham.«
Warmer Wind empfing sie, als Richard die Tür zum Parkplatz öffnete. Tia blieb stehen. »Wir fahren zu Mrs. Graham?«
»Komm endlich. Die Polizei wartet schon.«
»Die Polizei?«
Richard drehte sich zu ihr um, das Gesicht hochrot wie immer, wenn er wütend war. »Kannst du vielleicht mal damit aufhören, alles zu wiederholen, was ich sage, und einfach einsteigen?«
Mrs. Graham wickelte sich enger in ihre Strickjacke. Tia hätte sie am liebsten in den Arm genommen und getröstet, aber zwei Polizisten bewachten sie.
Sie hatte Mrs. Graham noch nie ohne Lippenstift oder in nicht perfekt gebügelter Kleidung gesehen. Die braune Strickjacke, die sie jetzt trug, sah aus, als gehörte sie Sam.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Tia. »Brauchen Sie irgendetwas?«
Mrs. Graham blickte auf. Mit zornig zusammengepressten Lippen schüttelte sie den Kopf. Tia wurde das Herz immer schwerer. In der Wohnung herrschte ein heilloses Durcheinander. Ungeöffnete Post, Zeitungen, Kleidungsstücke mit undefinierbaren Flecken lagen auf dem Boden verstreut, dazwischen Körbe mit Wäsche und ein Bügelbrett, auf dem hochkant ein Bügeleisen stand, wie ein Soldat, der für Ordnung sorgen wollte.
»Möchten Sie ein Glas Wasser?« Sie musste Mrs. Graham einfach etwas Gutes tun.
»Das geht leider nicht, Ma’am«, erklärte ihr eine junge Polizistin mit ausdrucksloser Stimme. »Die Spurensicherung ist noch nicht fertig.«
Auf dem Sofatisch stapelten sich schmutzige Teller. Der oberste war noch halbvoll mit etwas Grünem – Rahmspinat vielleicht.
Mrs. Graham wurde des versuchten Mordes verdächtigt. So viel hatte Richard ihr während der Fahrt erzählt. Angeblich hatte die alte Frau ihrem Mann Tabletten
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