Das Banner des Roten Adlers
jagen? Wie solle sie beginnen?
Im Nu hatte der Minister vergessen, was er auf dem Teller hatte, und begann sich
geradezu lyrisch über die Freuden der Jagd zu verbreiten. Becky meinte, sie hätte
ihre Übersetzung
gleich vertonen
müssen - am besten für ein Hörnerquintett.
Adelaide hörte ihm zu, zeigte hier mit einer Frage, dort mit einem Kommentar ihr Interesse und wickelte ihn so um den Finger. In der Nachmittagssitzung stellte sich
dann heraus, dass die Wälder in der Umgebung der Nickelbergwerke ungewöhnlich
reich an Wild aller Art waren und dass für die Erhöhung der Förderung der Bau einer
neuen Straße durch die Berge unumgänglich wäre. Das aber würde die Jagd in
diesem Gebiet ein für alle Mal ruinieren. Das warf ein ganz neues Licht auf das
Thema
der
Förderleistung.
Erz
war
genug
vorhanden,
nur
müssten
neue
Förderverfahren
entwickelt
werden.
Vielleicht
mit
Hilfe der kaiserlichen
und
königlichen Bergwerksakademie in Wien ... Der österreichische Minister war nur zu
gern bereit zu helfen.
Becky staunte, was aus dem gelangweilten, ungraziös gekleideten, ungebildeten
Mädchen seit ihrer ersten Begegnung vor wenigen Monaten geworden war. Die
Adelaide von damals hätte gegrinst, gehöhnt und geschmollt, die Adelaide von
heute war geduldig, anmutig, gewitzt und dabei unbeugsam. Becky, von Natur aus
bescheiden, kam nicht einen Augenblick lang in den Sinn, dass dieser Wandel auch
ihr zu verdanken war. Gegen Ende des Tages spürte sie, dass sich nicht nur ihr Bild
von Adelaide tief greifend
verändert
hatte, sondern
dass
auch
die
Geschichte
Raskawiens vor einem Wendepunkt stand, denn die Großmächte verhandelten
freundschaftlich über etwas, was vor kurzem noch Anlass für einen Krieg hätte
bieten können. Alles sprach dafür, dass Raskawien in eine sichere Zukunft schauen
konnte.
Freilich blieb noch der Wunsch, eine Garantie für diese Sicherheit zu erhalten, und
das sollte das Verhandlungsthema des folgenden Tags sein. Becky konnte sich kaum
auf den Beinen halten, so müde war sie. Heiser und mit dröhnenden Kopfschmerzen
ging sie stracks zu Bett und schlief wie noch nie in ihrem Leben. Sie erfüllte eine
schwierige
und
wichtige
Aufgabe,
sie wurde
vollkommen glücklich.
gebraucht
und
das
machte sie
Straßen
ohne Namen,
Gassen,
die im
Nichts
endeten,
kleine Plätze,
die zum
Umherspazieren einluden, aber dann keinen Ausgang zu haben schienen ... Die Studenten des Richterbundes waren in der Lage, komplizierte Gedankengänge der
Philosophie Hegels wiederzugeben, aber Detektivarbeit verlangte eine andere Art
von Schläue. Die Suche zog sich über den ersten Tag der Gespräche hin - ohne
Ergebnis. Der Befehlsstand im Cafe Florestan wurde dreimal abgelöst, während ein
Plan der Stadt immer weiter über den Tisch wuchs, Blatt an Blatt geklebt, sobald
Straßen eingezeichnet und Quartiere abgesucht waren. Alle nur möglichen Gedankenverbindungen
Parasol,
Paralysis;
wurden
durchgespielt:
Paradies,
Paris,
Parallele,
auch
Cornelius
Agrippa,
Albertus
Magnus
und
Paraguay,
andere in
irgendeiner Weise mit Alchimie verbundene Namen; alles, was mit Gold zu tun
hatte; auch auf Theophrastus Bombastus von Hohenheim, den eigentlichen Namen
des Paracel-sus, verfiel man; aber alles führte zu nichts. Bei Einbruch der Dunkelheit
spazierten Jim und Karl hinaus zur alten Brücke und lehnten sich auf die steinerne
Balustrade. »Parapett«, improvisierte Karl.
»Parasit.«
»Parallaxe. Was machen wir eigentlich, wenn wir sie finden, Jim? Sollen wir sie
festnehmen?« »Nein, die Polizei würde alles verpfuschen. Und ich kann mich nicht
mehr auf Graf Thalgau verlassen. Ich dachte, wir könnten ihr unsere Hilfe anbieten.«
»Wie bitte?«
»Oder zumindest so tun als ob. Wir sagen ihr einfach: >Schauen Sie, Sie wollen
Leopold befreien, und wir helfen Ihnen dabei.< Er ist hilflos wie ein kleines Kind, er
braucht jemanden, der sich um ihn kümmert. Frau Busch hat einen Schlaganfall und
kann sich weder bewegen, noch kann sie sprechen, also kann nur Carmen Ruiz diese
Aufgabe übernehmen. Schließlich weiß sie, in welcher Gemütsverfassung sich der
Prinz befindet. Und sie weiß, wo er ist und wie gut er bewacht wird. Allein kann sie
ihn da nicht herausholen. Sie mag ja einen Komplizen haben - diesen Typ, den Herr
Egger für einen Fotografen hielt -, aber um Leopold zu retten, braucht sie eine ganze
Truppe. Sie braucht uns.« »Wir benutzen ihn als Köder, um sie an die Angel zu
bekommen.«
»Genau so. Und wenn wir beide erst
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