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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Beratung. Für ihn war die Welt noch immer in Ordnung. Erste Zweifel würden seine Laune vielleicht erst zwanzig Minuten nach seinem Eintreffen verdunkeln. Konnte ich es schaffen, bis dahin, abgehetzt und leicht zerrauft, das Büro zu erreichen? Ich rührte mich nicht. Ich war außerstande anzurufen. Manon war imstande, in meiner Gegenwart ungezählte Telephonate zu erledigen, ich in der ihren nicht ein einziges.
    Im Zimmer angekommen, verschwand sie sofort im Bad. Von drinnen hörte ich ihre Stimme. Ich öffnete die Tür, da saß sie mit herabgelassenen Hosen auf der Schüssel, hielt ihr Silberdöschen ans Ohr und schnitt, als sie mich sah, ein derart komisches Gesicht, daß ich laut lachen mußte. Sie verwickelte mich in den unwürdigsten Kuddelmuddel allein dadurch, daß ich hinter ihr her tappte, aber sie selbst konnte sich aus jeder grotesken Lage durch ihren Witz und ihr Gefühl für Absurdität befreien.
    Hell fiel das Mittagslicht auf das Bett, auf dem wir uns ausstreckten. Jetzt besaß ich sie in einem Maß, das ich mir eben noch nicht hatte vorstellen können. Ihre Zerstreutheit war weggeblasen. Es gab nur noch mich, das ließ sie mich fühlen. Zum Verliebtsein hatte ich überhaupt keine Zeit. Das In-sie-Verliebtsein stellte sich erst in ihrer Abwesenheit ein. Während ich sie umarmte, war ich fest davon überzeugt, sie nach dieser Laune nie wiederzusehen, und das befeuerte mich und regte mich an. Hindernislos durfte aber wohl nichts bei ihr ablaufen. In der größten Liebeshitze flüsterte sie mir zu, ich müsse unbedingt vorsichtig sein, und als sie glaubte, ich hätte sie nicht recht verstanden, wand sie sich mit hoher Geschicklichkeit unter mir weg und lag neben mir, der ich sie verblüfft und wahrscheinlich mit ziemlich zerlaufener Miene anstarrte.
    Sie lachte leise. Ich habe keinen Anlaß, mich über den Verlauf dieses Mittags zu beklagen, aber es erwies sich doch, daß das Gestückelte, Verzerrte, das unserem Treffen von Anfang an eigen war, sich behaupten sollte. Ich dämmerte vor mich hin, während sie eine Packung Erdnüsse aus dem Eisschrank öffnete und sich eine große Handvoll in den Mund schüttete. Im Einschlafen sah ich dieses Bild und empfand es als reizvoll und friedlich. Wie traurig für Watteau, daß er nie eine junge Frau beobachten konnte, die sich heißhungrig über eine Erdnußpackung hermacht, welche Drehungen und Wendungen des Halses bewirkte dies Den-Kopf-nach-hinten-Legen. Als ich kurz danach erwachte, sah ich sie immer noch so gut wie nackt, aber schon wieder mit ihrer nur aus Schnüren und Strängen bestehenden Unterhose bekleidet, mit gebeugtem Rücken auf dem Bettrand sitzen und mit dem herabhängenden Haar eine Laube für das kleine Telephon bilden. Sie gab fremdartige Geräusche von sich, ein Einziehen der Luft und ein schluckaufähnliches Hecheln, und ich brauchte eine Weile, bis ich verstand, daß sie schluchzte.
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte sie leise, aber nicht aus Rücksicht auf meinen Schlaf, ich war jetzt vergessen. »Du mußt mir nur sagen, wenn ich lästig für dich bin ... Warum läßt du dich verleugnen ... Ich habe den ganzen Vormittag nichts anderes getan, als dich anzurufen ... Wie bös du bist ...« Und dann richtete sie sich auf, warf das Haar zurück und sagte plötzlich laut, geradezu schreiend wirkte das auf mich nach dem scheuen Flüstern: »Du bist eben einfach ein dreckiges Schwein.«
    Sie ließ das Telephon sinken. Hatte ihr Gegenüber dieses letzte Wort noch gehört, oder war es ins Leere gesprochen, nachdem er aufgelegt hatte? Ich wagte mich nicht zu rühren, aber ich blinzelte zum Spiegel hinüber, der Manons Bild einfing, einer dieser bronzierten Spiegel, die auch blasse Menschen gut durchblutet und sogar leicht gebräunt erscheinen lassen. Das feine Haar umstand ihr Gesicht zerdrückt und wie gesträubt. Ihr Gesicht war rot und verzerrt, alles, was an ihr hübsch und sogar schön sein konnte, war verschwunden. Schönheit ist oft nur eine Frage von Millimetern, von Duft und Licht und dem Kreislauf guter, lebenspendender Säfte. In ihre Züge war jetzt die schwarze Galle ausgegossen. So sah eine Mörderin aus, die von ihrer Tat noch vollständig erfüllt ist. Langsam stand sie auf und ging ins Badezimmer. Dort hörte ich das Wasser rauschen, aber das Silberdöschen hatte sie zwischen den Falten des Leintuchs liegenlassen, von dort glitt es sanft zu Tal und fiel mit leisem Pochen auf den Teppichboden.
    Ich war schon angezogen, als sie

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