Das Beben
berufenen Zwergentruppe?
Vieles sei ihre Aufgabe, sagte sie lächelnd, und wenn es wie bisher laufe, werde auch die Zwergenarmee bei ihr hängen bleiben – ob ich gestattete, daß sie noch einmal telephoniere? Und wieder sprach sie mit leicht ungeduldiger Sachlichkeit, die sich stark von dem schwebend ironisch-amüsierten Tonfall unterschied, in dem sie mit mir gesprochen hatte. Aber diesmal verstand ich den Namen. »Professor« – das war nur das bürgerliche Inkognito eines höchst unbürgerlichen Mannes. Ein Professor ist kein Prophet und mag viele beherrschen, ohne deshalb jemals ein Meister zu sein.
Ahnt man, was ich empfand? Hier vor mir saß die Frau, eine geradezu überlebensgroße Schönheit, im vertraulichen Gespräch mir zugewandt, und erwies mir die Gunst, sich von mir nähren zu lassen. Wie dankbar war ich, daß die angekündigte »Tasse Tee« nur die redensartliche Umschreibung eines reichhaltigen Gabelfrühstücks war. Und doch mischten sich unreine Elemente in meine Bewunderung und mein Vergnügen. Ich wußte etwas über Manon, ich war ihr, so souverän sie auch auftrat und so ungleich unsere Beziehung auch sein mochte, mit Spezialkenntnissen über ihre Lebensführung voraus. Dies Wissen erfüllte mich mit Triumph. Roll du nur deine Augen, sprich du nur mit deinen schönen Lippen, dachte ich, stelle dich nur schön ungehemmt vor mir dar, ich weiß es doch besser. Etwas Hämisches war in diesem Gedanken. Diese Bewunderung, die mich durchglühte, war mit giftigen Essenzen durchmischt, nicht nur freundliche Regungen machten mir die Wangen warm. Daß sie voll Ungeduld versuchte, den Meister ans Telephon zu bekommen, verstärkte den Reiz des Schauspiels. Sie mußte wissen, daß ich den Namen, nach dem sie in wachsender Verstimmtheit verlangte, sehr wohl kannte. Wer kannte ihn nicht? Seine Kunst war in den breitesten Kreisen angekommen; für das naive Publikum war er längst der Künstler schlechthin. Daß Manon mit den Großen der Erde verkehrte, war nicht verwunderlich. War nicht umgekehrt der eigentliche Lohn einer großen Karriere, mit Frauen wie Manon verkehren zu dürfen? Verkehren ist ein vieldeutiges Wort. Ich konnte es nicht ohne Hohn gebrauchen, und diese Bereitschaft, Manon von Anfang an in schiefem Licht zu sehen, hätte mich stutzig machen müssen. Mit einer Schadenfreude, die mich unwillkürlich lächeln ließ, dachte ich an ihren Vater und seine Picasso-Anekdote. Was ihre Beziehung zu dem Meister anging, hatte Manon durchaus mehr vorzuweisen als ein nicht zustandegekommenes Porträt. Und so behandelte ich Manon in Gedanken wie eine Angeklagte, auf eine verdrehte Weise war mir, als überführe sie sich, wenn sie die Wahrheit sagte, obwohl ich doch bei dem gegenwärtigen Stand unserer Bekanntschaft gar keinen Anspruch besaß, über ihre Verhältnisse aufgeklärt zu werden. Ja, es stimmte: Von den indischen Zirkusplänen des Meisters hatte ich sogar schon in der Zeitung gelesen. Sein Büro arbeitete vorzüglich. Es beteiligte die Öffentlichkeit an jedem seiner durchführbaren und undurchführbaren Pläne. Wenn er einen Einfall gebar, wurden Staat und Gesellschaft augenblicklich der Prüfung unterzogen, ob sie seinem Genie gewachsen seien. Auch wenn eines der Vorhaben dann am öffentlichen Finanzmangel oder an der ihr innewohnenden, a priori jede Realisierung verweigernden Narretei scheiterte, waren die Leser der Kulturseiten und die Zuschauer der Fernsehrunden doch überzeugt, Zeugen einer nie ermüdenden Schöpfungsenergie geworden zu sein. Dem Meister gelang es, den Leuten zu vermitteln, er habe den Regenbogen erfunden, und es hänge nur an ein wenig gutem Willen der Verantwortlichen, in jedem Neubaugebiet einen soliden Regenbogen zu installieren, der alle Gebrechen unserer Zeit zuverlässig heilte. Der »Indisch-magische Zirkus« war einer der kleineren Pläne. Viel Geld dafür war auch schon zusammengebracht. »Wasser für Indien« war die Flagge, unter der das Unternehmen segelte. Mehreren Zwecken zugleich sollte es dienen: den Westmenschen Herz und Sinn aufschließen und in den trockensten Regionen Indiens, aus denen die Artisten – die »Gaukler«, wie es in den Ankündigungen hieß – stammten, Quellen sprudeln lassen. Was beim Meister und seinem beträchtlichen Stab hängenblieb, hatte gar keine Rolle zu spielen – »Ich arbeite ohnehin meist nur für meine Selbstkosten«, pflegte er zu sagen, und daß eine Sekretärin oder Assistentin wie Manon nicht von Luft lebte – nein,
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