Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
keinesfalls von der Emanzipation der Frau begleitet gewesen seien. »Die Genossen dort haben noch einen langen Lernprozeß vor sich – in mancher Hinsicht, im bewaffneten Kampf, waren sie uns voraus, aber im Bewußtsein waren wir schon weiter.« Dritte Welt – ja, sage er heute, es sei aber ein Aber dabei. Es müsse zwischen den Kulturen zu einem Geben und Nehmen kommen, und diesen Prozeß fördere er von seinem Ministerium aus. »Es ist doch grotesk, wenn in Deutschland die Bürgerlichen in puncto Gleichstellung der Frau weiter sind als eine Befreiungsbewegung auf den Philippinen.« Was wir kulturell von der Dritten Welt lernen könnten – und was er ausnahmslos bereits von ihr gelernt habe –, das müsse durch die »Übernahme der emanzipatorischen Prinzipien« – dies sagte er mit einer Geschwindigkeit, die lange Übung verriet – durch die Dritte Welt ergänzt werden.
    »Du als Frau kannst da womöglich auch hier etwas erreichen.«
    Es war ein Erlebnis, Iris-Winnetou nun schon zum wiederholten Mal »als Frau« bestätigt und eigens hervorgehoben zu sehen, geradezu als sei sich der Minister ihrer weiblichen Eigenschaften nicht rundherum sicher und müsse sich in seinem Eindruck, es handele sich bei ihr um eine Frau, eigens bestärken. Für mich enthielten diese nachdrücklichen Hinweise jedenfalls die Aufforderung, sie genauer zu betrachten. Sie bemerkte meine Blicke und erwiderte sie offen und nicht unfreundlich. Kein Zweifel, daß sie eine Frau war. Ihre weiblichen Formen waren sogar ziemlich ausgeprägt, das männlich hautenge Kostüm gab ihr etwas von einer Sängerin in Hosenrolle, und das schroffe, unvermittelte Wesen, die männliche Herbheit, die sie an den Tag legte, mochte womöglich gar nicht zu ihren Hauptcharakterzügen gehören. Mir kam unversehens der Gedanke, daß es gerade das Sprechen über sie »als Frau« sei, das diese Schroffheit hervorbrachte. Ich meinte, in der Ruhe, mit der sie sich auf dem Bambussopha ausgestreckt hatte, etwas Gezwungenes zu entdecken. Womöglich kämpfte sie längst mit ihrer Selbstbeherrschung? Der Minister hatte Pech. Was ihm politisch zu schaffen machte, verfolgte ihn auch im Privatleben. Die Homogenität der politischen Bewegung, die seinen Aufstieg zunächst begleitet hätte, war dahin. Die Leute, die ihn unterstützten, kamen längst nicht mehr alle aus den geschlossenen ästhetischen Milieus, denen er seine politische Formung und seinen Geschmack verdankte, andere stammten zwar da her, hatten sich aber davon losgesagt, wählten die Partei zwar noch, verhöhnten aber, was zu ihrem Lebensdunst gehörte.
    Winnetous Haar war von einem guten Friseur geschnitten, und die Straffheit ihrer Erscheinung ließ vermuten, daß sie für Schlamperei nichts übrig hatte. Ich entdeckte einen schönen Ring an ihrer gebräunten Hand mit den farblos lackierten, kurzgeschnittenen Fingernägeln, eine antike Gemme aus Karneol, mit einem hineingeschnittenen Delphin. Ein solch starker großer Fisch paßte zu ihr. Ich sah sie vor mir, in schwarzem Badeanzug auf glattem Muskelleib reitend. Nein, eine Schönheit war sie nicht mit ihren beunruhigend nah zusammenstehenden Augen, aber sie anzusehen war mir ein wachsendes Vergnügen.
    Trat Manons Bild etwa in mir zurück? Davon war ich weit entfernt. Dies Bild lebte eigentlich auch gar nicht in meinem Innern, es überwölbte mich gleichsam, auch während ich jetzt mit den Neuankömmlingen in der Halle saß, wie das Mosaik einer göttlichen Maske in einer goldenen Kuppel. Manon würde immer gegenwärtig sein, wie ich deutlich fühlte, aber dieses »Immer« nahm in diesem Augenblick auch etwas von der Spannung weg; was immer da war, würde nicht verschwinden, wenn man seine Aufmerksamkeit auch einmal etwas anderem schenkte.
    Prinzessin Kar ū na Devi trat jetzt ein in ihrer einfachen Baumwoll-Pundjab-Tracht mit dem sorgfältig gefalteten Schal über der linken Schulter. Ich kannte sie inzwischen genug, um hinter ihrer höflichen Lässigkeit, mit der sie wie eine englische Landhausbesitzerin ihre Gäste begrüßte, die bis zur Panik gehende Verlegenheit herauszuspüren. Es war, als habe sie ihre behütete Jugend im Serail des Palastes von Dungarpor nicht vergessen, wo jedes neue Gesicht, das ihr entgegentrat, mit Gewißheit einem Blutsverwandten gehörte. Die Amerikanerinnen, die sie allabendlich in den Fernsehserien agieren sah, kannten keine Bedenken, mit wem immer ein Gespräch anzufangen, und gingen ohne weiteres unbegleitet aus dem Haus.

Weitere Kostenlose Bücher