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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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den Stil hier nicht zu gewöhnen, du bist morgen wieder weg, aber benimm dich bitte solang«, sagte sie deutsch unter den Augen Karōnas so freundlich, daß die Zurechtweisung wie eine Liebkosung klang. Karōna Devi hätte sicher verstanden, wenn die fremde Frau ihren Mann vergiftet, aber niemals geschätzt, wenn sie ihn vor Zeugen angefahren hätte.
    Zu diesem Abendessen, das wir alle erwarteten und noch lange würden erwarten dürfen, von den tänzelnden Dienern inzwischen mit Nüssen genährt, sollte auch Verwandtschaft erscheinen, der kahle Raj Vir Singh mit seiner kastanienbraunen Glatze, seinem hochgezwirbelten englischen Sergeantenschnurrbart und dem würdevoll o-beinigen Gang, als sei er soeben erst operativ von seinem Polopony, mit dem er lebenslang verwachsen war, getrennt worden, und seine rundliche Ehefrau, Prinzessin Butulika von Bikaner, deren weißer Scheitel stets von rotem Pigment bestäubt war. Sie ließ sich morgens von ihrem Priester nicht einen roten Punkt auf die Stirn malen, sondern bekam das Pulver wie ein Gewürz aufgestreut. Das Ehepaar hatte eine derart inständige Art, sich zum Gruß zu verneigen, daß es wirkte, als wollten sie eine Bittschrift überreichen und als seien nicht ihre Eltern es gewesen, die Bittschriften entgegengenommen hatten. Die Prinzessin von Kotah, eine magere Dame mit großen Zähnen, trat mit einer Tochter auf, die im Gegensatz zur Mutter nicht in einen modern bedruckten Sari gehüllt war, sondern einen Jeans-Anzug trug. Das Mädchen war hübsch, aber ihr Gesicht müde, und die zartgeschwungenen Augen schienen ein wenig lymphatisch verklebt. In ihr verkörperten sich die Hoffnungen der Eltern, denn sie hatte ihr betriebswissenschaftliches Studium mit den besten Zensuren abgeschlossen. Der Minister, der von der Massage seines Sohnes zu dessen laut geäußertem Mißvergnügen abgelassen hatte, wandte sich dem Mädchen mit Neugier zu. Hier war junges, modernes Indien, ein intellektueller Brückenkopf für die Entwicklungsarbeit, die er im Sinne hatte, und das Mädchen bestätigte ihn sofort. Sie leiste an ihrem Ort gleichfalls eine unablässige Entwicklungs- und Aufklärungsarbeit. Man ahne nicht, in welchen Vorurteilen die indische Gesellschaft, gerade auch die wohlhabende Bourgeoisie, immer noch befangen sei. Ihr vorzügliches Examen hatte ihr den Weg zu einer von vielen begehrten und heiß umkämpften wirtschaftlichen Karriere geöffnet. Sie vertrat inzwischen als Geschäftsführerin eine französische Gesellschaft in Bombay, die sich mit der Herstellung von hochwertigem Futter für Katzen und Hunde beschäftigte.
    »Viele wissen in Indien immer noch nicht, daß man Windhunde, Bernhardiner, Möpse oder Pitbulls nicht mit Küchenabfällen ernähren kann«, sagte sie mit unterdrückter Empörung und jener anmutigen Leidenschaft, die verriet, daß sie dem Kampf ihre ganze Kraft widmete. »Rassehunde haben einen Anspruch auf die allerbeste Ernährung. Wir verarbeiten keine Eingeweide, sondern nur bestes Lammfleisch. Rindfleisch kommt für Indien leider nicht in Frage, obwohl es vom tiermedizinischen Standpunkt das gesündeste wäre. Wir haben wunderbare Hühner- und Seefisch-Konserven für Katzen, Lammrücken und Lammkeulen für Hunde – leider auch kein Schwein, weil unsere muslimische Kundschaft das übel aufnehmen würde – man steht hier auf meinem Arbeitsgebiet unter vielen Zwängen, aber wir machen es gut, und es gelingt mir inzwischen auf unseren großen Verkaufsaktionen, das Vertrauen der Haustiereigentümer zu gewinnen.« Bitter sei oft, in der eigenen Verwandtschaft kein Verständnis für die angemessene Ernährung von Hund und Katze zu finden. Der Tante habe sie so viele schöne Konserven für die Katze mitgebracht – »Ihr Fell könnte schimmern, und sie könnte mindestens vier Jahre älter werden« –, aber die Tante ringe sich nicht dazu durch, ihre Tiere selber zu füttern, und die Diener verharrten auf einem Bildungsstand, als hätten sie die ihnen anvertrauten Konserven lieber selbst gegessen – »was man auch kann«, sagte sie stolz, »unsere Produkte sind vielleicht sogar besser als vieles, was für die menschliche Ernährung auf dem Markt ist.«
    Ich suchte den Blick von Iris, die dem Plädoyer der jungen Geschäftsfrau, einer Nichte des Königs, wenngleich eine fernere, mit unbewegter Miene lauschte. Als sie bemerkte, daß ich sie ansah, lächelte sie und machte eine andeutende Kopfbewegung zu ihrem Freund, der mit ernstestem Stirnrunzeln

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