Das Beil von Wandsbek
von seiner Freundin Annette nie erhalten. Ihr gegenüber war er immer in der Rolle des dankbaren, manchmal fast staunenden Liebhabers verblieben; ohne daß sie irgend etwas dazu beigetragen, war ihr die Haltung einer Dame eigen, die einen Pagen glücklich gemacht, einer Herzogin oder Marquise. Wie in manchen Opern und Theaterstücken. Mit Anneliese aber lebte und liebte es sich nicht nur gleich zu gleich. Mit der natürlichen Unterordnung eines jungen Weibes lag sie in den Armen des kräftigen Mannes, bezaubert von seinen Muskeln, seiner Stimme, die tief in der Brust summte oder widerhallte, wenn sie ihr Ohr drauflegte, ein hübsch geformtes, mittelgroßes Ohr mit fast zu klein geratenen Läppchen. Er war nicht ihr erster Freund, aber ihr erster wirklicher Mann, und er brachte ihr ganzes Wesen zum Mitschwingen, zum harmonischen und rückhaltlosen Tönen; anderseits brauchte er, Hans Footh, neben Anneliese nicht die Vorsicht zu üben, die er Annette schuldete. Auf einer »Kraft-durch-Freude«-Fahrt nämlich, nach der Schweiz und über Lyon nach Südfrankreich, hatte sie sich die Aufklärungsschrift eines französischen Geistlichen besorgt, eine neue Lehre über das katholische Eheleben und die Möglichkeit, die Empfängnis nach Wunsch zu regeln. Es gab einen Rhythmus bestimmter Tage, an denen das Weib empfing, und es waren ihrer weit weniger, als die törichte Schulmedizin meinte. Das Buch des Herrn Abbé enthielt eine genaue Kalendertabelle, die unter der Voraussetzung der monatlichen Periode und ihrer Daten das ehelicheLeben regulierte; Anneliese als Katholikin – »Sieh mal an«, lachte Hans Footh, »jetzt hab ich ’ne Katholische im Bett« ,– glaubte fest an die Anweisungen jenes Abbés, wie sie ja überhaupt im Herzen die Überlegenheit der großen alten Kirche und ihrer weisen Einrichtungen über alle Ketzer und Juden unterstellte. Im übrigen aber war ihr weder etwas Kirchliches noch gar Nonnenhaftes eigen; ihr weißer schlanker Körper vielmehr hätte ebensogut einer Turnerin oder Trapezkünstlerin angehören können, wie Hans Footh mit Staunen bemerkte. »Jeden Morgen zwölf Minuten Gymnastik macht fit für den ganzen Tag«, antwortete Anneliese. »Bloß Leerlauf vertrag ich nicht. So schön es ist, Hans, ich möchte weg. Unsern Hafen wieder tuten hören, das große Fenster in deinem Bureau im Rücken haben, die Schreibtischecke streicheln, auf der es angefangen.«
Hans Footh legte ihr die Hand aufs Knie, wie damals, nahm sie dann an sich, steckte ihr später ein Stückchen Schokolade in den Mund. »Nun laß uns schlafen, Kleine. Was hast du den ganzen Tag getan?«
Anneliese hatte sich mit einem ehemaligen Vorgesetzten ihres Bruders getroffen, einem alten Bekannten ihres Vaters, aus der gleichen Stadt am Niederrhein, einem Orte namens Rheydt. Das war ein alter Kämpfer, der jetzt endlich eine auskömmliche Stelle innehatte, nachdem es ihm in der Weimarer Zeit stets dreckig gegangen. Jetzt saß er als Prokurist oder etwas ähnliches in der Arbeiterbank, bei der er als Kassenbote angefangen hatte, als sich einer ihrer Gründer, der Jude Meyer, erschoß, weil ihm ein Geheimrat aus rheinländischer Kapitalistenfamilie vorgezogen wurde. Der Geheimrat hatte seinen Landsmann Ruckstuhl als Kassenboten mitgebracht und nun ...
Hans Footh, schon nahe am Einschlafen, fuhr empor: »Ruckstuhl?« – »Komischer Name, nöch?« entgegnete die Kleine, indes sie ins Beinkleid ihres Schlafanzuges schlüpfte und bloßfüßig auf dem Teppich stand. Hans Footh saß im Bett auf und griff nach ihrem Handgelenk. »Glaubst du, daß der im Kriege war? bei uns im Osten? Wir hatten in Schaulen einen Unteroffizier, der so hieß.« – »Schaulen, auch so’n komischer Name, aber es könnte sein. Wenn er mit Vater mal zu schnaken herüberkommt – Vaterhat was zu bestellen in der Arbeitsfront –, kam schon manchmal die Rede auf die litauischen Marjellen. Noch’n komisches Wort. Weiß nicht jeder, was es bedeutet.« – »Selber eine«, rief er aus und hielt sie fest, die gerade ihr Zimmer aufsuchen wollte, damit er ungestört schlafe. »Machst mir morgen eine Verbindung mit dem alten Ruckstuhl, Kleine. Vielleicht schmeißt du mir den Laden, vielleicht krieg ich durch dich und die Arbeiterbank Zugriff zu den Thetisschiffen.«
Anneliese stand da, über ihn geneigt, die Augen strahlend schwarz geöffnet, so sehr verschlangen ihre Pupillen die bleiche Iris. »Heiratest du mich dann?« fragte sie leise.
Der ehemalige Unteroffizier
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