Das Beil von Wandsbek
gepflegten Fingernägeln – aber sie übten immer nur Teilfunktionen aus, lehnten jede Verantwortung ab, verwiesen für Entscheidungen auf eine immer höhere Stelle, welche natürlich über den Wolken thronte, im Reiche der Götter, wo sich der strahlende Aufgang deutscher Wiedergeburt vollzog, planvoll, zielvoll, rücksichtslos und listig. Oh, der deutsche Mensch hatte einen Auftrieb erhalten wie nie zuvor. Gloria in excelsis deo. Dieser Gott mußte mit den Deutschen wahrhaftig große Dinge vorhaben, sonst hätte er ihnen nicht diesen Adolf Hitler gesandt, das politische Genie schlechthin. Sein Bild, ein treuherziges Profil mit gescheiteltem Haar, seherischen Augen, einem etwas wulstigen Ohr und dem berühmten Bärtchen hing in all den Amts-, Dienst- und Geschäftsräumen, in denen Herr Footh im Laufe dieser Tage zu tun hatte. Denn ist man einmal in Berlin, so stellt sich erst heraus, wie viele Dinge hier an Ort und Stelle durch eine Besprechung, selbst einen Telephonanruf, erledigt werden können, die durch einen diktierten Brief von Hamburg her durchaus nicht in Bewegung kommen wollen. Die Reichshauptstadt war ein Markt, der größte auf diesem Teil der Erdkugel, und verhandelt wurden hier Beziehungen, Aufträge, politische Pläne, Tausende von Schicksalen.Und an die Stelle der früheren vorsichtigen und ängstlichen Beamten war jetzt die Jugend, die Kühnheit, die List und der Erfolg getreten. Man würde vielleicht von Zeit zu Zeit genötigt sein, dem Volk Späße zu gestatten oder aufzutragen, wie jene Nacht der langen Messer, Bücherverbrennung oder die roten Schaukästen des »Stürmers«, dafür spielte man eben Revolution. Was aber hinter dieser Filmleinwand ablief, hieß ganz anders, es hieß Besitzergreifung aller Knotenpunkte des wirtschaftlichen und politischen Nervensystems durch eine Partei.
In Sachen der Thetisschiffe waren beteiligt das Transportgewerbe, die Arbeitsfront, die Treibstoffbewirtschaftungsstelle Nordgau, die Organisation »Kraft durch Freude« und die NS.-Handelsbank, welche ein bestimmtes Aktienpaket der Gesellschaft verwaltete. Vom westlichen Industrierevier her streckten sich Arme aus, die mit Saugnäpfen gespickt waren, und selbst aus Süddeutschland tasteten Fühlfäden nach Hamburg hinüber. Alle Geschäfte blühten, alle Kurse stiegen, überall ballten sich Wirtschaftsmächte zusammen, um das in den Dienst des Reiches zu stellen, was früher von Republikanern, Juden, Katholiken und Sozialdemokraten anarchisch gegründet oder großgemacht worden war, im sogenannten freien Spiel der Kräfte eines belämmerten Liberalismus. Natürlich war eine eiserne Hand nötig gewesen, die Löhne der Massen auf ein vernünftiges Minimum herabzuschrauben. Das konnte nicht anders sein, auch wenn die Kaufkraft der Millionen vorübergehend darunter litt. Aber in ein paar Jahren, meine Herren! Verlangte Deutschlands Gegenwart jetzt Kanonen statt Butter, so versprach die Zukunft auch dem geringsten Volksgenossen statt Butter Kaviar, und es gab zum Glück überall Redner und Schreiber, die das dem deutschen Volke verständlich machten. »Warte nur, balde, hast du ein Haus«, lautete der Vers, mit dem ein beliebter Kabarettist dem Inhaber des möblierten Zimmers Geduld und Sinn für die Wirklichkeit einhämmerte. Natürlich durfte von den Hintergründen der deutschen Politik öffentlich nicht zuviel beleuchtet werden; ohnehin gab es in Prag, Wien und Paris Emigrantenblättchen, welche diese Hintergründe als Abgründe beschrieben. Aber die Welt beachtete sie nicht, in London waren herzlich wenig dieser ausgebürgerten Schädlinge zugelassenworden, das britische Reich hatte für sie den Abfallhaufen Palästina zur Verfügung gestellt, und niemand war dabei zu kurz gekommen. In all den Bureaus, Herrenzimmern und Klubräumen der Hauptstadt begnügte man sich mit dem Wissen, daß man am Vorabend großer Ereignisse stand. Das schwindelerregende Tempo des Dritten Reiches, an seine Dynamik hätten sich die Herren jenseits des Rheines und des Kanals bereits gewöhnen können: Rückkehr der Saar ins Reich und Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes, Einmarsch der Reichswehr ins entmilitarisierte Rheinland und Schaffung eines schlagkräftigen Heeres durch die zweijährige Dienstpflicht, Bau der Achse Berlin-Rom, Strich durch die Unterschrift der Weimarer, durch das Diktat von Versailles, indessen gleichzeitig eine glanzvolle Olympiade »der Griechen Stämme froh vereinte« und schließlich der Staatsbesuch des
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