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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Libellen über den Köpfen der Geister, die ihnen verwundert nachschauten. Doch ringsum herrschte bedrückende Stille und das fahle Licht flößte auch Will Angst ein. Nur Lyras Wärme an seiner Seite vermittelte ihm ein Gefühl von Leben.
    Hinter der Mauer waren immer noch die Schreie der Harpyien zu hören. Manche Geister schauten ängstlich nach oben, doch die meisten starrten Will und Lyra an, bis sie sich alle langsam in Bewegung setzten. Lyra wich zurück, denn sie hatte jetzt nicht die Kraft, ihnen gegenüberzutreten, wie sie es eigentlich gern getan hätte. Daher redete Will als Erster.
    »Sprecht ihr unsere Sprache?«, fragte er. »Könnt ihr überhaupt sprechen?«
    Verängstigt, wie Will und Lyra waren, besaßen sie doch mehr Autorität als die Scharen der Toten zusammengenommen. Den armen Geistern war aus ihrem Leben nichts geblieben. Als sie Wills Stimme, die erste deutliche Stimme, die seit unvordenklichen Zeiten hier erklang, vernahmen, traten viele erwartungsvoll näher.
    Doch sie konnten nur flüstern. Einen schwachen, dünnen Ton, kaum mehr als einen Hauch, mehr brachten sie nicht hervor.
    Die Toten drängten zwar verzweifelt nach vorn, doch die auf ihren Libellen hin und her fliegenden Gallivespier genügten, sie in Schach zu halten, damit sie ihren Schützlingen nicht zu nahe kamen. Die Kinder unter den Geistern schauten mit sehnsüchtigen Augen nach oben, und Lyra begriff sofort warum: Sie glaubten, die Libellen seien Dæmonen, und wünschten sich von ganzem Herzen, ihre eigenen wieder bei sich zu haben.
    »Oh, das sind keine Dæmonen«, platzte es voller Mitgefühl aus Lyra heraus. »Hätte ich meinen Dæmon mitnehmen dürfen, hättet ihr ihn jetzt alle streicheln dürfen, ganz bestimmt.«
    Und dann streckte sie den Kindern die Hände entgegen.
    Teilnahmslos oder aus Furcht blieben die erwachsenen Geister zurück, doch die Kinder rückten dicht gedrängt vor. Sie hatten nicht mehr Substanz als Nebel, so dass Lyras Hände und ebenso Wills sie mühelos durchdrangen. Sie, die leicht und ohne Leben waren, drängten vorwärts, um sich am pulsierenden Blut der beiden Reisenden zu wärmen. Will und Lyra spürten einen kühlen, leisen Anhauch, als die Geister durch ihre Körper gingen und sich dabei wärmten. Die beiden Freunde merkten, dass sie nach und nach an Leben verloren, denn ihr Vorrat an Wärme war nicht unbegrenzt. Schon begannen sie zu frieren, und der Strom der herandrängenden Geister schien kein Ende nehmen zu wollen. Schließlich musste Lyra sie darum bitten, sich zurückzuhalten. Sie hob die Hände und sagte: »Bitte - wir würden euch gerne alle berühren, aber wir sind hierhergekommen, um jemanden zu suchen. Ich brauche euch, um herauszufinden, wo er steckt und wie ich ihn erreichen kann. Ach, Will«, seufzte sie und lehnte den Kopf an ihn, »wenn ich doch bloß wüsste, was ich tun muss!«
    Die Geister schauten gebannt auf das Blut auf Lyras Stirn, das im matten Licht wie eine Stechpalmenfrucht glänzte. Einige waren sogar durch die Wunde gefahren, so sehr sehnten sie sich nach der Berührung mit diesem grellen Zeichen des Lebens. Ein Geistermädchen, das, als es noch lebte, vielleicht neun oder zehn Jahre alt gewesen war, hob schüchtern die Hand, um das Mal zu berühren, schreckte aber gleich wieder ängstlich zurück. »Hab keine Angst«, sagte Lyra, »wir sind nicht gekommen, um euch wehzutun. Sprich doch zu uns, wenn du kannst.« Das Geistermädchen öffnete den Mund, doch sein dünnes Stimmchen klang kaum lauter als ein Flüstern.
    »Haben das die Harpyien getan? Haben sie dich verletzt?«
    »Ja«, sagte Lyra, »aber wenn sie nicht mehr als das können, dann machen sie mir keine Angst.«
    »Oh, das ist nicht alles. Sie tun Schlimmeres -«
    »Was denn?«
    Doch sie wollte ihr nichts Genaueres sagen. Auch die anderen Geister schüttelten den Kopf und blieben stumm. Schließlich sagte ein Junge: »Für diejenigen, die schon seit Jahrhunderten hier sind, ist es nicht so schlimm, weil man mit der Zeit gegen ihr Geschrei abstumpft. Dann erschrecken sie einen nicht mehr so -«
    »Sie haben es besonders auf die Neuankömmlinge abgesehen«, meldete sich jetzt das erste Geistermädchen wieder zu Wort. »Diese Kreaturen sind so gemein, sie ... ich kann es gar nicht sagen.« Ihre Stimmen waren so leise wie herabfallendes trockenes Laub. Und nur die Kinder sprachen; die Erwachsenen schienen schon so lange in Teilnahmslosigkeit versunken zu sein, dass sie vielleicht nie wieder sprechen oder

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