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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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beiseite. Während des anstrengenden Aufstiegs hatte er nicht an seinen Vater gedacht, doch tat es gut, ihn in der Nähe zu wissen. Nun wurde ihm schlagartig bewusst, dass sie sich für immer trennen würden.
    »Was wird geschehen, wenn du nach draußen gehst?«, fragte Will. »Wirst du dich vor unseren Augen auflösen?«
    »Noch ist es nicht so weit. Mr. Scoresby und ich haben einen Plan. Einige von uns Geistern bleiben hier zurück und warten darauf, von euch in Lord Asriels Welt geführt zu werden. Wir glauben nämlich, ihm von Nutzen sein zu können. Auch ihr müsst dorthin reisen«, fuhr er traurig fort und schaute dabei Lyra an, »wenn ihr eure Dæmonen wieder finden wollt. Denn dorthin sind sie inzwischen gelangt.«
    »Aber Mr. Parry«, sagte Lyra, »woher wollen Sie wissen, dass unsere Dæmonen sich in der Welt meines Vaters aufhalten?«
    »Ich war zu meinen Lebzeiten Schamane und habe eine andere Sicht der Dinge gewonnen. Befrage ruhig dein Alethiometer - es wird dir bestätigen, was ich sage. Doch gibt es bei den Dæmonen eines zu bedenken«, fügte er mit eindringlicher Stimme hinzu. »Der Mann, den ihr als Sir Charles Latrom kennen gelernt habt, musste in regelmäßigen Abständen in seine Welt zurückkehren, weil er nicht ständig in meiner Welt leben konnte. Die Philosophen der Zunft vom Torre degli Angeli, die über dreihundert Jahre lang zwischen verschiedenen Welten hin- und herreisten, mussten alle die gleiche Erfahrung machen. Ihre Welt verlor nach und nach immer mehr von ihrer Kraft und verfiel schließlich.«
    »Mir erging es ähnlich«, fuhr der Geist fort. »Anfangs diente ich als Offizier bei der Marineinfanterie. Später wurde ich Entdecker. In jener Zeit hatte ich eine eiserne Gesundheit. Irgendwann verließ ich durch Zufall meine Welt und konnte den Weg zurück nicht mehr finden. Ich unternahm alles Mögliche und lernte viel in dieser anderen Welt, doch zehn Jahre nach meiner Ankunft war ich sterbenskrank. Der Grund dafür ist, dass ein Dæmon nur in der Welt über alle seine Lebenskräfte verfügt, in der er geboren wurde. Anderswo verlassen ihn seine Kräfte und er muss sterben. Wir können in jede Welt reisen, zu der wir eine Öffnung finden, aber auf Dauer können wir nur in unserer angestammten Welt gedeihen. Lord Asriels großes Unternehmen wird am Ende aus dem gleichen Grund scheitern: Wir müssen die Republik des Himmels dort schaffen, wo wir beheimatet sind, denn für uns gibt es keine andere Erde. Will, mein Junge, du und Lyra, ihr könnt für eine Weile hinausgehen; denn ihr braucht etwas Erholung, und die habt ihr euch redlich verdient. Aber dann müsst ihr wieder zurück in das Dunkel zu mir und Mr. Scoresby, um die letzte Reise anzutreten.«
    Will und Lyra tauschten einen Blick aus. Dann schnitt er mit dem Messer ein Fenster, und ihnen bot sich die lieblichste Landschaft dar, die sie jemals gesehen hatten.
    Die Kinder sogen die kühle, reine Nachtluft ein. Über ihnen funkelten die Sterne am Himmel und irgendwo in der Ferne schimmerte Wasser. Vor ihnen dehnte sich eine weite Savanne aus, in der hier und da mächtige Bäume, so hoch wie Türme, in kleinen Gruppen zusammenstanden.
    Will lief über das Gras und verbreiterte zu beiden Seiten das Fenster, so dass sechs, sieben, gar acht Personen nebeneinander aus dem Land der Toten herüberkommen konnten. Die ersten Geister zitterten vor Hoffnung, und ihre Erregung pflanzte sich wie eine Welle durch die lange Kolonne hinter ihnen fort. Kleine Kinder und alte Menschen schauten entzückt auf zum Himmel, als der Glanz der ersten Sterne, die sie seit Jahrhunderten wieder funkeln sahen, in ihre ausgezehrten Augen fiel.
    Der erste Geist, der das Land der Toten verließ, war Roger. Er trat in die neue Welt, wandte sich noch einmal nach Lyra um und lachte überrascht, als er mit einem Mal in der Nacht, dem Sternenlicht und der Luft aufging ... Der kleine Junge verging in einem solch ungestümen Ausbruch reiner Freude, dass Will an die aufsteigenden Bläschen in einem Sektglas denken musste.
    Die anderen Geister folgten ihm. Will und Lyra ließen sich erschöpft in das vom Tau benetzte Gras fallen, von Herzen dankbar für den sicheren Boden, die Nachtluft und die Sterne.

Der Beobachtungsposten
     
     

    Die Mulefa, die es übernommen hatten, die hölzerne Plattform für Mary zu zimmern, kamen mit der Arbeit zügig und gut voran. Mary hatte ihre Freude daran, sie bei ihrem Tun zu beobachten, denn sie verstanden es, zu diskutieren, ohne zu

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