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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Will so tat, als starre er auf den leeren Horizont, ließ er seinen Blick nach oben in die Masse aus Grün, Braun und Blau wandern, und tatsächlich - Lyra hatte Recht - da war etwas, das nicht zum Baum gehörte, und daneben gleich noch etwas.
    »Geh weiter«, sagte Will kaum hörbar. »Wir laufen ein Stück in eine andere Richtung und beobachten, ob sie uns folgen.«
    »Und wenn nicht ... Na gut, meinetwegen«, flüsterte Lyra zurück.
    Sie taten so, als schauten sie sich um; dann legten sie die Hände auf einen Ast, der bis auf den Boden reichte, so als wollten sie hinaufklettern; schließlich gaben sie sich den Anschein, es sich anders überlegt zu haben, schüttelten den Kopf und liefen weiter.
    »Am liebsten würde ich mich umdrehen«, sagte Lyra, als sie ein paar hundert Schritte entfernt waren.
    »Geh einfach geradeaus weiter. Sie können uns sehen und werden sich nicht verirren. Die beiden stoßen wieder zu uns, wenn sie es wollen.«
    Die Kinder verließen die Basaltstraße und schritten durch das kniehohe Gras, das an ihren Beinen schabte. Sie beobachteten die Insekten, die hier umhersummten und - gaukelten, und hörten dem Gezirpe von Millionen Stimmen zu.
    »Was wirst du tun, Will?«, fragte Lyra, nachdem sie ein Stück weiter gelaufen waren, ohne ein Wort miteinander gewechselt zu haben.
    »Nun, ich werde wohl nach Hause zurückkehren«, antwortete er.
    Das Mädchen dachte, dass seine Stimme nicht ganz überzeugt geklungen habe. Sie hoffte jedenfalls, dass es sich so verhielt. »Aber diese Männer könnten immer noch hinter dir her sein«, gab Lyra zu bedenken.
    »Wir haben Schlimmeres durchgemacht.«
    »Ja, schon ... Aber ich wollte dir Jordan College zeigen und die Fens. Ich dachte, dass wir ... «
    »Ja«, sagte er, »und ich hätte mir gewünscht ... Es wäre doch gut, noch einmal nach Cittàgazze zu gehen. Es war so schön dort und wenn die Gespenster nun alle fort sind ... Doch da ist noch meine Mutter. Ich muss zu ihr zurück und mich um sie kümmern. Weißt du, ich habe sie bei Mrs. Cooper gelassen und das ist beiden gegenüber nicht fair.«
    »Aber dir gegenüber ist es auch nicht fair, dass du das alles auf dich nehmen musst.«
    »Ja, aber das ist eine andere Art von Unfairness. So wie ein Erdbeben oder ein Unwetter. Die sind nicht fair, aber niemand trägt die Schuld daran. Aber wenn ich meine Mutter bei einer alten Dame in Pflege lasse, die selber nicht mehr ganz rüstig ist, dann ist das etwas anderes. Mrs. Cooper länger mit meiner Mutter zu belasten, wäre nicht recht gehandelt. Es hilft nichts, ich muss nach Hause. Aber wahrscheinlich wird es schwierig sein, unser altes Leben wieder aufzunehmen. Mittlerweile weiß sicher schon alle Welt Bescheid. Ich befürchte auch, dass Mrs. Cooper sich nicht richtig um meine Mutter kümmern konnte, jedenfalls nicht, wenn meine Mutter wieder in eine dieser Phasen gerät, in der ihr alles Angst macht. Gut möglich, dass Mrs. Cooper dann Hilfe holte. Wenn ich nach Hause komme, wird man mich sicher gleich in irgendein Heim stecken.«
    »Wirklich! So was wie ein Waisenhaus?«
    »Ich glaube, bei uns regelt man das so. Genau weiß ich das nicht. Aber schon der Gedanke ist mir zuwider.«
    »Du könntest doch mit dem Messer ausbrechen, Will, und in meine Welt kommen.«
    »Ich gehöre dahin, wo ich mit meiner Mutter zusammen sein kann. Wenn ich erwachsen bin, kann ich mich selbst richtig um sie kümmern. Dann habe ich ein eigenes Haus und keiner darf sich einmischen.«
    »Glaubst du, dass du später einmal heiratest?«
    Will verfiel in ein langes Schweigen. Sie wusste aber, dass er nachdachte.
    »Soweit kann ich nicht in die Zukunft schauen«, sagte er schließlich. »Es müsste jemand sein, der Verständnis für ... das alles aufbringt ... Ich glaube nicht, dass es in meiner Welt jemanden gibt, der das könnte. Und du? Willst du irgendwann mal heiraten?«
    »Mir geht es wie dir«, sagte sie mit unsicherer Stimme. »Niemanden aus meiner Welt, denke ich.«
    Den Horizont vor Augen schlenderten sie weiter. Sie hatten alle Zeit der Welt: alle Zeit, die die Welt hat.
    Nach einer Weile sagte Lyra: »Du behältst doch das Messer, oder? Dann kannst du mich auch in meiner Welt besuchen.«
    »Selbstverständlich. Ich würde es keinem anderen geben, niemals.«
    »Schau nicht hin«, warnte Lyra ihn, ohne ihre Gangart zu ändern. »Da sind sie. Links.«
    »Sie folgen uns tatsächlich«, sagte Will erfreut.
    »Pst!«
    »Ich dachte es mir doch. Schön. Wir gehen weiter und tun

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