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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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konnte. Ihre Finger lagen noch auf seinen Lippen und er spürte sie zittern. Da hob er seine Hand und hielt ihre, ohne dass er sie oder sie ihn anschauen konnte; sie waren verlegen und sie schwammen in Seligkeit.
    Wie zwei Falter, die unbeholfen aneinander stießen, und fast ebenso schwerelos, so berührten sich ihre Lippen. Und ohne dass sie wussten, wie ihnen geschah, lagen sie sich plötzlich in den Armen und pressten die Gesichter blind gegeneinander.
    »Wie Mary gesagt hat -«, flüsterte er, »man weiß sofort, wenn man jemanden mag ... als du oben auf dem Berg schliefst, ehe sie dich mitnahm, sagte ich Pan -«
    »Ich habe es gehört«, flüsterte sie. »Ich war wach und wollte dir das Gleiche sagen, aber nun weiß ich, was ich die ganze Zeit über gefühlt habe: Ich liebe dich, Will, ich liebe dich -«
    Das Wort »Liebe« entfachte ein Feuer in ihm. Sein ganzer Körper brannte und er antwortete ihr mit den gleichen Worten, küsste immer wieder ihr heißes Gesicht und trank hingebungsvoll den Duft ihres Körpers, ihres warmen, wie nach Honig schmeckenden Haars und ihres süßen, feuchten Mundes, der nach der kleinen roten Frucht schmeckte. Um sie herum herrschte vollkommene Stille, als ob die ganze Welt den Atem anhielte.
     
     
    Balthamos litt furchtbare Angst.
    Mit dem kratzenden, stechenden und beißenden Käfer-Dæmon in der Hand lief er bachaufwärts aus dem Wald hinaus, immer darauf bedacht, sich vor dem Mann verborgen zu halten, der hinter ihm her stolperte.
    Gomez durfte ihn nicht einholen. Er wusste, dass der Pater ihn ohne Mühe töten könnte. Ein Engel seines Ranges konnte es mit einem Menschen nicht aufnehmen, selbst wenn dieser Engel stark und gesund war, was bei Balthamos nicht zutraf. Hinzu kam, dass er immer noch über Baruchs Tod trauerte und sich schämte, Will im Stich zu gelassen zu haben. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft zu fliegen.
    »Halt, halt«, rief Pater Gomez. »Bleib doch bitte stehen. Ich kann dich nicht sehen - reden wir doch miteinander, bitte - tu meinem Dæmon nicht weh, ich bitte dich -«
    In Wirklichkeit war es der Dæmon, der Balthamos wehtat. Der Engel konnte den kleinen grünen Käfer schemenhaft durch die Handrücken seiner gefalteten Hände sehen. Immer wieder biss ihn das Tier mit seinen kräftigen Kiefern. Würde er die Hände auch nur für einen Augenblick öffnen, würde das Insekt sofort davonfliegen. Balthamos hielt sie daher fest geschlossen.
    »Hier entlang«, befahl er. »Folge mir aus dem Wald. Ich will mit dir reden, aber das ist hier nicht der richtige Ort dazu.«
    »Aber wer bist du denn? Ich kann dich nicht sehen. Komm näher - wie soll ich mit dir reden, solange ich dich nicht kenne? Lauf doch nicht so schnell!«
    Doch Geschwindigkeit war die einzige Verteidigung, die Balthamos blieb. Ohne den beißenden Dæmon zu beachten, suchte er sich am Bachbett entlang von Felsen zu Felsen springend seinen Weg.
    Doch dann passierte ihm ein Missgeschick. Als er nach hinten schauen wollte, rutschte er aus und trat mit einem Fuß ins Wasser.
    »Aha«, flüsterte Pater Gomez zufrieden, als er das aufspritzende Wasser sah.
    Balthamos zog den Fuß sofort heraus und eilte weiter - doch nun hinterließ er bei jedem Tritt einen nassen Abdruck auf den trockenen Felsen. Der Geistliche sah das natürlich, machte einen Satz nach vorn und hatte das Gefühl, mit der Hand über Federn zu streifen. Verblüfft hielt er inne, und das Wort »Engel« erschien in seinem Geist. Balthamos nutzte den Augenblick und taumelte weiter, doch der Priester blieb ihm auf den Fersen.
    »Noch etwas weiter«, rief Balthamos über die Schulter, »bis wir oben auf dem Berg sind, dort reden wir dann, ich verspreche es.«
    »Reden wir doch hier! Bleib, wo du bist. Ich schwöre, dass ich dich nicht anrühre.«
    Der Engel blieb die Antwort schuldig, weil er sich sonst überhaupt nicht mehr hätte konzentrieren können. Seine Aufmerksamkeit ging in drei Richtungen gleichzeitig: nach hinten, um seinem Verfolger auszuweichen, nach vorn, um auf den Weg zu achten, und auf den Dæmon, der ihn in die Hände biss.
    Der Verstand des Priesters arbeitete schnell. Ein wirklich gefährlicher Gegner hätte den Dæmon sofort getötet und damit die Angelegenheit im Handumdrehen erledigt. Doch sein Gegenspieler hatte offenbar Angst zuzuschlagen.
    Mit dieser Überlegung im Hinterkopf ließ Gomez sich hinfallen und bat unter vielerlei Gejammer den anderen, doch anzuhalten. Dabei beobachtete er ihn genau, kroch näher und

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