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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Laut Aussage einer der Kirche in Freundschaft verbundenen Hexe versammelt er gegenwärtig eine große Armee, darunter womöglich auch Engel-Truppen. Seine Absichten richten sich, soweit bekannt, gegen die Kirche und gegen den Allmächtigen selbst.
    Zweitens die Oblations-Behörde. Sie hat das Forschungszentrum Bolvangar eingerichtet und unterstützt Mrs. Coulter. Beides lässt vermuten, dass sie sich Hoffnungen macht, das Disziplinargericht als stärksten und wirkungsvollsten Arm der Heiligen Kirche abzulösen. Wir sind überholt worden, meine Herren. Die Behörde geht dabei geschickt und skrupellos vor. Dass es so weit kommen konnte, ist unsere eigene Schuld. Wir waren viel zu nachlässig. Ich komme gleich da rauf zu sprechen, was wir dagegen unternehmen können.
    Drittens der Junge, von dem Fra Pavel gesprochen hat, mit dem Messer, das so außergewöhnliche Dinge vollbringen kann. Natürlich müssen wir ihn schnellstmöglich finden und das Messer an uns bringen.
    Viertens der Staub. Ich habe Schritte eingeleitet, um in Erfahrung zu bringen, was die Oblations-Behörde darüber weiß. Ein Experimentaltheologe aus Bolvangar konnte überredet werden uns zu sagen, was genau man entdeckt hat. Ich werde heute Nachmittag unten mit ihm sprechen.«
    Einige Priester zuckten zusammen, denn mit »unten« war der Keller unter dem Gebäude gemeint, einige weiß geflieste, schallisolierte Räume mit anbarischen Anschlüssen und zahlreichen in den Boden eingelassenen Abflüssen.
    »Was immer wir über den Staub erfahren«, fuhr der Vorsitzende fort, »wir dürfen darüber nie unser eigentliches Ziel vergessen. Die Oblations-Behörde will begreifen, was der Staub bewirkt, wir dagegen haben keine geringere Aufgabe als ihn zu vernichten. Wenn wir dafür auch die Oblations-Behörde, das Bischofskollegium und sämtliche anderen kirchlichen Behörden im Dienst des Allmächtigen vernichten müssen - dann muss das eben sein. Vielleicht, meine Herren, ist das ja der eigentliche Zweck der Heiligen Kirche - den Staub zu vernichten und dabei selbst zugrunde zu gehen. Aber besser noch eine Welt ohne Kirche und Staub als eine Welt, in der wir täglich unter der schrecklichen Last der Sünde stöhnen. Besser eine von aller Sünde gereinigte Welt!«
    Pater Gomez nickte leidenschaftlich und mit blitzenden Augen.
    »Und letztens«, sagte Pater MacPhail, »das Kind. Denn wenn ich es richtig verstehe, ist diese Lyra ja noch ein Kind, diese Eva, die versucht werden und, wenn sich das Schicksal der ersten Eva wiederholt, der Versuchung erliegen und uns alle in den Abgrund mitreißen wird. Es gibt verschiedene Lösungen für das Problem, das sie stellt, meine Herren, doch ich schlage die radikalste vor und bin sicher, dass Sie mir zustimmen werden. Ich schlage vor, jemanden zu entsenden, der sie ausfindig macht und tötet, bevor sie versucht werden kann.«
    »Exzellenz«, rief Pater Gomez sofort, »seit ich erwachsen bin, übe ich täglich vorbeugend Buße. Unermüdlich studiere ich -«
    Der Vorsitzende hob die Hand. Bei der so genannten präventiven Buße und Absolution handelte es sich um vom Disziplinargericht entwickelte, der restlichen Kirche nicht bekannte Lehren. Dabei ging es um die Sühne für eine noch nicht begangene Sünde, eine leidenschaftliche, von Geißelung und Auspeitschung begleitete Buße, mit der man sich eine Art Guthaben aufbaute. Hatten die selbst auferlegten Strafen die für eine bestimmte Sünde angemessene Höhe erreicht, bekam der Büßer die Absolution im Voraus erteilt, auch wenn er nie aufgefordert werden würde, diese Sünde zu begehen. Manchmal war es zum Beispiel notwendig, jemanden umzubringen, und dann erwies es sich natürlich als große Erleichterung, wenn der Mörder die Tat im Stand der Gnade begehen konnte.
    »Ich hatte Sie schon im Sinn«, sagte Pater MacPhail freundlich. »Ist das Gericht einverstanden? Gut. Wenn Pater Gomez gleich mit unserem Segen aufbricht, ist er auf sich gestellt. Niemand kann ihn dann noch erreichen oder zurückrufen. Was immer passiert, er wird auf seinem Weg voranschreiten wie der Pfeil Gottes und das Kind töten. Niemand wird ihn sehen, niemand wird ihn hören, er wird nachts kommen wie der Engel, der die Assyrer vernichtete. Was für ein Jammer, dass es im Garten Eden noch keinen Pater Gomez gab! Wir lebten heute noch im Paradies.«
    Der junge Priester weinte fast vor Stolz. Das Gericht segnete ihn.
    Doch in einem dunklen Winkel unter der Decke, verborgen zwischen Eichenbalken, kauerte

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