Das Bernstein-Teleskop
Grumman. Sein Wunsch, das Messer zu finden, führte meinen Gefährten und mich zu ihm. Wir folgten ihm, da wir wussten, dass er uns zu dem Messer und seinem Träger führen würde. Dann wollten wir den Träger zu Euch bringen. Doch der Junge weigerte sich ... «
Wieder musste Baruch innehalten. Lord Asriel setzte sich, verwünschte seine Ungeduld und streute erneut Kräuter auf das Feuer. Die Schneeleopardin lag neben ihm. Ihr Schwanz fuhr langsam über die Eichendielen, und ihre goldenen Augen waren unverwandt auf das schmerzerfüllte Gesicht des Engels gerichtet. Baruch holte ein paar Mal tief Luft, und Lord Asriel schwieg. Das einzige Geräusch war das Klatschen des Seils draußen am Fahnenmast.
»Lassen Sie sich Zeit, Sir«, sagte Lord Asriel freundlich. »Wissen Sie, wo meine Tochter ist?«
»Himalaja ... in ihrer Welt«, flüsterte Baruch. »Großes Gebirge. Eine Höhle in einem Tal voller Regenbogen ... «
»Das ist weit weg von hier. Sie sind schnell geflogen.«
»Das ist die einzige Fähigkeit, die ich besitze«, sagte Baruch. »Außer der Liebe zu Balthamos, den ich nie mehr sehen werde.«
»Aber wenn Sie das Mädchen so leicht gefunden haben -«
»Dann finden andere Engel sie auch.«
Lord Asriel nahm einen großen Atlas vom Tisch, schlug ihn auf und suchte nach den Seiten, die den Himalaja zeigten.
»Können Sie mir sagen, wo genau sie ist?«, fragte er.
»Mit dem Messer ... «, begann Baruch. Lord Asriel merkte, dass der Engel zu fantasieren begann. »Mit dem Messer kann er die Welten nach Belieben betreten und verlassen ... Er heiß t Will. Aber sie sind in Gefahr, er und Balthamos... Metatron weiß, dass wir sein Geheimnis kennen. Sie haben uns verfolgt ... Sie haben mich an der Grenze zu Eurer Welt allein erwischt ... Ich war sein Bruder ... Deshalb konnten wir zu ihm in den Wolkenberg eindringen. Metatron war einst Enoch, Sohn des Jared, welcher der Sohn des Mahalalel war ... Enoch hatte viele Frauen. Er war den Freuden des Fleisches zugetan ... Mein Bruder Enoch verbannte mich, weil ich ... Ach, teurer Balthamos ... «
»Wo ist das Mädchen?«
»Ja, ja. Eine Höhle ... ihre Mutter ... ein Tal voller Winde und Regenbogen ... zerrissene Fahnen auf dem Schrein ... «
Er stützte sich auf und starrte den Atlas an.
Die Schneeleopardin fuhr auf und sprang zur Tür, doch zu spät. Der Bursche, der geklopft hatte, hatte sie schon ohne zu warten aufgemacht. Solche Dinge geschahen eben und daran trug niemand wirklich die Schuld. Lord Asriel sah das entsetzte Gesicht des Soldaten und drehte sich zu Baruch um. Der Engel mühte sich zitternd ab, seine verwundeten Glieder zusammenzuhalten, doch war die Anstrengung für ihn zu groß. Ein Luftzug wehte durch die offene Tür und über das Bett, und in ihm wirbelten die Teilchen seiner Gestalt, aus dem Verbund des schwächer werdenden Willens gelöst, in einem wilden Durcheinander nach oben und verschwanden.
»Balthamos!«, kam ein letztes Flüstern aus der Luft.
Lord Asriel legte die Hand auf den Nacken seines Dæmons. Die Schneeleopardin spürte sein Zittern und beruhigte ihn. Er sah den Burschen an.
»Mylord, ich bitte vielmals -«
»Ist nicht deine Schuld. Überbringe König Ogunwe meine Empfehlung. Bitte ihn und die anderen Befehlshaber, sofort herzukommen. Außerdem brauche ich Herrn Basilides mit dem Alethiometer. Und die Zweite Gyropterschwadron soll um halb fünf bewaffnet und aufgetankt zum Aufbruch bereit sein. Ein Tankzeppelin muss sofort nach Südwesten losfliegen. Sobald er in der Luft ist, ergehen weitere Befehle.«
Der Bursche grüßte und ging nach einem letzten nervösen Blick auf das leere Bett hinaus. Die Tür schloss er sorgfältig hinter sich.
Lord Asriel klopfte mit einem Stechzirkel aus Messing auf den Schreibtisch. Dann trat er an das nach Süden gehende Fenster und schaute hinaus. Aus der Tiefe drangen der Schein und der Rauch der ewigen Feuer durch die Nacht, und sogar die Hammerschläge waren zwischen den lärmenden Windstößen zu hören.
»Tja, wir haben viel erfahren, Stelmaria«, sagte er leise.
»Leider nicht genug.«
Wieder klopfte es, und der Alethiometrist trat ein, ein bleicher, hagerer Mann mittleren Alters. Er hieß Teukros Basilides, und sein Dæmon war eine Nachtigall.
»Einen guten Abend, Mr. Basilides«, grüßte Lord Asriel. »Wir haben folgendes Problem, und ich bitte Sie, alles andere zurückzustellen und sich gleich daran zu begeben ... «
Er wiederholte, was Baruch ihm mitgeteilt hatte, und
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