Das Bernstein-Teleskop
auch blickte, überall sah sie Gold, wie Atal es ihr beschrieben hatte: Lichtfunken, die hierhin und dorthin schwebten und manchmal in eine bestimmte Richtung zu strömen schienen. Um sie herum war die Welt, wie sie sich dem unbewehrten Auge darbot, das Gras, der Fluss und die Bäume. Doch sobald sie ein Mulefa erblickte, erschien das Licht plötzlich dichter und voller Bewegung. Ihre Gestalten wurden darunter nicht unscharf, im Gegenteil, sie wirkten sogar viel klarer.
Ich wusste gar nicht, dass es so schön ist, sagte Mary zu Atal.
Aber selbstverständlich ist es das, versetzte darauf ihre Freundin. Seltsam war nur, dass du es nicht sehen konntest. Schau mal, der Kleine da ...
Sie deutete auf ein Mulefa-Kind, das im hohen Gras spielte. Es lief tapsig den Grashüpfern hinterher, hielt plötzlich an, um ein Blatt genauer zu untersuchen, stolperte, rappelte sich wieder auf, eilte zu seiner Mutter, um ihr irgendetwas zu sagen, ließ sich von einem Stöckchen ablenken, versuchte es mit dem Rüssel aufzuheben und fing sich dabei Ameisen ein, die es mit Geschrei begrüßte. Eine goldene Aura umgab das Kind, ebenso wie die Wohnungen, die Fischernetze und die Feuerstellen: zwar stärker als der Dunst um die Gebrauchsdinge, aber nicht sehr viel. Dafür war ihre Aura von vielen kleinen Turbulenzen erfüllt, die kaum entstanden, wieder verschwanden und durch neue ersetzt wurden.
Der Funkenschwarm um die Mutter des Kindes war sehr viel dichter und die Strömungen ruhiger und mächtiger. Sie bereitete gerade das Abendessen zu. Dazu schüttete sie Mehl auf einen flachen Stein und knetete Maisfladen, ohne dabei ihr Kind aus den Augen zu lassen. Die Schatten oder Sraf oder Staub um sie herum ergaben das Inbild der liebevoll sorgenden Mutter.
Jetzt kannst du es also auch endlich sehen, sagte Atal. Du musst nun mit mir kommen.
Mary sah ihre Freundin verdutzt an. Atal hatte einen unbekannten Ton in der Stimme. Es klang so, als wollte sie sagen: Endlich bist du so weit; wir haben darauf gewartet; nun wird sich einiges ändern.
Auch andere Mulefa näherten sich jetzt, manche über die Anhöhe, andere aus ihren Behausungen, wieder andere vom Flussufer. Angehörige des Stammes, aber auch Fremde, die Mary neugierig anschauten. Das dröhnende Geräusch ihrer Räder auf der Basaltstraße kam stetig näher.
Wohin muss ich denn gehen? fragte Mary Und warum kommen alle anderen herbei?
Sei unbesorgt, sagte Atal. Komm mit, wir tun dir nicht weh.
Diese Versammlung schien von langer Hand vorbereitet zu sein, denn alle wussten, wo sie sich einzufinden und was sie zu erwarten hatten. Am Rand des Dorfes befand sich ein Hügel, zu dem an beiden Seiten Rampen führten. Oben breitete sich ein Platz aus festgestampfter Erde aus, auf den sich die Menge - fünfzig oder mehr Mulefa nach Marys Schätzung - zubewegte. Der Rauch der Herdfeuer hing in der Abendluft und die untergehende Sonne vergoldete das Bild mit ihrem milden Licht. Mary spürte den Geruch gebackener Maisfladen und die warme Ausdünstung der Mulefa - ein Geruch von Öl und Körperwärme, wie ihn auch Pferde verbreiten.
Atal drängte sie, zum Versammlungsplatz zu kommen.
Was ist denn los? Sag es mir doch!
Nein, nein ... nicht ich. Sattamax wird zu dir sprechen ...
Mary kannte diesen Namen nicht und den männlichen Zalif, den Atal ihr zeigte, hatte sie noch nie gesehen. Er wirkte älter als alle Mulefa, die ihr bisher begegnet waren. An der Wurzel seines Rüssels wuchsen weiße Haare und er bewegte sich steifbeinig, wie wenn er an Arthritis litte. Alle anderen behandelten ihn mit ausgesuchtem Respekt. Ein heimlicher Blick durch das Bernsteinglas zeigte Mary auch warum: Die Schatten Wolke um den alten Zalif war so dicht und komplex, dass auch Mary sofort Achtung empfand, obgleich sie nur wenig darüber wusste, was das alles zu bedeuten hatte.
Als Sattamax zu verstehen gab, dass er sprechen wolle, breitete sich Stille in der Versammlung aus. Mary hielt sich am Rand, und Atal stand zu ihrer Beruhigung neben ihr. Unter den Blicken der anderen Mulefa fühlte sie sich wie ein Schulmädchen, das neu in die Klasse kam.
Dann sprach Sattamax. Seine Stimme klang tief, sonor und reich an Nuancen, die sie begleitenden Rüsselbewegungen waren sparsam und anmutig.
Wir haben uns alle hier versammelt, um die Fremde unter uns zu begrüßen. Diejenigen, die Mary bereits kennen, haben allen Grund, ih r dankbar zu sein für alles, was sie seit ihrer Ankunft für uns getan hat. Wir haben gewartet,
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