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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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gefragt, etwas Saft abzuzapfen. Die Mulefa erlaubten ihr das gern, waren aber selbst zu beschäftigt, um sich näher mit Marys Projekt zu befassen. Mit Atals Hilfe zapfte Mary eine ausreichende Menge des klebrigen, harzigen Saftes ab. Dann begann das langwierige Kochen, Lösen in Alkohol und nochmaliges Kochen, bis der Firnis gebrauchsfertig war.
    Die Mulefa benutzten zum Auftragen ein kleines Kissen aus Pflanzenfasern. Nach den Anweisungen eines einheimischen Handwerkers strich Mary nun immer wieder über die präparierte Unterlage, ohne anfangs einen Unterschied zu bemerken, so dünn war die Lackschicht. Doch mit jeder Schicht, die sie geduldig aushärten ließ, gewann der Spiegel an Dicke. Sie trug an die vierzig Schichten auf - am Ende zählte sie gar nicht mehr mit -, und als ihr Lackvorrat aufgebraucht war, hatte die Oberfläche eine Dicke von mindestens fünf Millimetern.
    Nach dem Lackieren kam das Polieren. Einen ganzen Tag verbrachte sie damit, die Oberfläche mit sanften, kreisenden Bewegungen zu polieren, bis ihr die Arme schmerzten, der Kopf brummte und ihre Geduld ein Ende hatte.
    Dann schlief sie.
    Am darauf folgenden Morgen zog die Gruppe zur Arbeit in eine Plantage, wo so genanntes Knotenholz angepflanzt wurde. Man musste dafür sorgen, dass die Schösslinge im richtigen Abstand wuchsen, damit die Bäumchen später die richtige Gestalt bekamen. Die Mulefa schätzten Marys Mithilfe sehr, denn sie kam in kleinere Lücken hinein und konnte mit ihren zwei Händen auch an kniffligen Stellen arbeiten.
    Erst nachdem diese Arbeit getan und alle wieder in die Siedlung zurückgekehrt waren, konnte Mary mit ihren Experimenten beginnen. Eigentlich spielte sie ja eher, denn noch immer hatte sie keine genaue Vorstellung von ihrem Tun.
    Zuerst versuchte sie, die dünne Lackscheibe als Spiegel zu verwenden, doch weil ein silberbeschichteter Hintergrund fehlte, sah sie nur einen schwachen doppelt gebrochenen Widerschein auf dem Holz.
    Was sie wirklich brauchte, dachte sie, wäre die Lackscheibe ohne das Holz. Aber sie verzagte schier bei der Vorstellung, noch eine weitere Scheibe anfertigen zu müssen. Und außerdem, wie hätte sie ohne die hölzerne Grundlage eine ebene Scheibe herstellen können.
    Dann kam ihr die Idee, das Holz wegzuschneiden und nur den Lack zu behalten. Auch das würde Zeit kosten, aber schließlich hatte sie ja das Schweizermesser. Und so fing Mary gleich an, das Holz ganz vorsichtig vom Rand her wegzubrechern, sorgfältig darauf bedacht, den Lack nicht von hinten zu zerkratzen. Am Ende hatte sie den größten Teil des Holzes weggeschnitten, aber leider blieben überall Holzreste im klaren hart gewordenen Lack hängen.
    Mary fragte sich, was wohl geschähe, wenn sie die Scheibe ins Wasser legte. Ob der Lack dann aufweichen würde? Nein, sagte ihr Handwerksmeister, der Lack bleibt für immer hart; aber versuche es doch einmal hiermit. Und er zeigte ihr eine Flüssigkeit, die in einer irdenen Keramikschale aufbewahrt wurde und nach seinen Worten Holz binnen weniger Stunden wegätzte. Mary fand, dass das Mittel nach Säure roch.
    Der Lack, so sagte der Meister, nehme dadurch keinen Scha den. Er war neugierig geworden und half ihr, die Säure vorsichtig über das Holz zu gießen. Die Säure, so erklärte er ihr, werde aus einem Mineral hergestellt, das am Ufer eines ihr noch unbekannten flachen Sees gewonnen werde. Das Mineral müsse zermahlen, gelöst und dann destilliert werden. Und tatsächlich, das Holz. weichte nach und nach auf und löste sich. Zurück blieb eine Scheibe klaren, gelbbraunen Lacks von der Größe einer Taschenbuchseite.
    Mary polierte die Rückseite ebenso sorgfältig wie die Vorderseite, bis die Scheibe vorn wie hinten soeben und glatt war wie der feinste Spiegel.
    Als sie dann hindurchschaute ...
    Sah sie nichts Besonderes. Alles war völlig klar, nur eben doppelt. Das rechte Bild gleich neben dem linken und um rund fünfzehn Grad nach oben verschoben.
    Was würde wohl geschehen, fragte sie sich, wenn sie durch zwei aufeinander liegende Scheiben blickte? Sie griff wieder zu ihrem Schweizermesser und bemühte sich, eine Kerbe durch die Scheibe zu ziehen, um sie in zwei Teile zu trennen. Durch mehrmaliges Ritzen, wobei sie die Klinge immer wieder an einem glatten Stein schärfte, gelang es ihr, die Scheibe tief genug einzukerben, um sie durchbrechen zu können. Mary legte einen schmalen Stock unter die Kerblinie und presste kurz und kräftig auf die Scheibe, wie sie es einmal

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