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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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verdienst, reicht mein Anstand doch zumindest so weit, deinen anbetungswürdigen Körper nicht unbedarft der Kälte auszusetzen.«
    »Schwätzer!«, entfuhr es ihr abfällig, doch im nächsten Moment schlug sie sich erschrocken auf den Mund. Was war nur in sie gefahren? Sie spielte doch nicht seit Stunden dieses dämliche Verstecken mit Hedwig und den beiden Grohnert-Damen, nur um sich ihr heiß herbeigesehntes Stelldichein durch eigene Übellaunigkeit zu verderben? Sie betrachtete den hochaufgeschossenen Kerl mit den viel zu dürren Beinen.
    »Was redest du nur immerzu für ein geschraubtes Zeug daher?«, fragte sie leise. »Da vorn ist die Kneiphofer Holzwiese, wie du siehst. Glaub mir, ich erwarte beileibe weder ein Schloss noch ein prächtiges Gastzimmer wie im Grünen Baum. Etwas mehr als eine zugige Laube oder eine halbverfallene Scheune aber darf es trotzdem sein. Oder bin ich dir nicht mehr wert?«
    »Was denkst du nur von mir?« Er riss sich den ausgefransten Schlapphut vom Kopf. Die Feder darauf hatte bereits bessere Tage gesehen. Die Hand auf die Brust gedrückt, sah er sie treuherzig von unten herauf an. »All mein Erspartes trage ich bei mir, um dir ein angenehmes Lager in einem Gasthof zu bieten. Wenn du magst, sollen dir die Mägde ein Bad mit Rosenblättern bereiten. Ich lasse dir Wein und einen Imbiss auftischen, allein in der Hoffnung, so dein Herz für immer zu erobern.«
    »Mach dich nicht zum Affen.« Zweifelnd sah sie ihn an. Seine goldbraunen Augen funkelten, um seinen breiten Mund zuckte es. Noch während sie mit sich rang, ob sie lachen oder sich weiter empören sollte, richtete er sich aus der vorgebeugten Haltung auf und bot ihr galant den Arm.
    »Komm mit und sieh selbst, was du mir wert bist.«
    Ein für seine Verhältnisse ungewohnt scheues Lächeln huschte über die glattrasierten, hohlen Wangen. Im nächsten Moment aber verzog sich der breite Mund wieder in der bewährten spöttischen Weise. Trotzdem folgte sie seiner Einladung mit einem artigen Knicks. Selbst wenn es ein Possenspiel war, hatte doch noch nie jemand sie derart hofiert. Gespannt schlenderte sie mit ihm in die Haberbergsche Vorstadt.

Zweiter Teil B
    Der Verrat
    Königsberg
    Winter 1662
    11
    D as Schneetreiben wurde dichter. Bald bedeckte eine dicke, weiße Schicht den Weg. Zunächst reihten sich die schäbigen Hütten der Tagelöhner dicht aneinander. Je näher sie der Hauptstraße kamen, desto häufiger mischten sich bescheidene Steinhäuser darunter. Endlich schälte sich die erst vor wenigen Jahren neuerrichtete Haberbergsche Kirche heraus, stolz umlagert von einem guten Dutzend prächtiger Vorstadthäuser. Gleich gegenüber der Kirche befand sich eines der ersten Gasthäuser am Platz, der Grafenkrug. Dort nächtigten die Reisenden, denen der Kneiphof zu vornehm, die anderen Gasthäuser in der Vorstadt aber zu schäbig waren. Zielsicher steuerte Humbert auf das Wirtshaus zu.
    »Du willst doch nicht wirklich im Grafenkrug einkehren?«, wisperte Lina erschrocken.
    »Was dagegen?« Er warf ihr einen verwunderten Blick zu. »Oder verlässt dich jetzt doch der Mut? Geld habe ich genug, falls das deine Sorge sein sollte. Du weißt, wie großzügig die Grohnert uns gegenüber ist. Für meine winzige Kammer bei der Mosnerin zahle ich nicht allzu viel. Ich verspreche dir hoch und heilig, dass mein Geld reicht, dir einen angenehmen Nachmittag zu bereiten. Genieß es einfach, wenn einmal die anderen Mägde für dich die Wasserkrüge schleppen und nach Lavendel duftende Leintücher bereitlegen.«
    Wieder zwinkerte er ihr zu, hauchte ihr sogar einen schüchternen Kuss auf die Wange. Ob der Berührung kam sie nicht umhin, das leichte Zittern seines Körpers zu spüren. Trotz aller Beteuerungen ängstigte ihn offenbar doch die eigene Courage. Das wiederum spornte sie an. Um ihm Mut zu machen, hob sie entschlossen den Kopf und lächelte. »Dann lass uns einen Nachmittag lang einmal die Herrschaft sein.«
    Sie strich ihr einzig gutes Gewand glatt und richtete das Wolltuch auf Schultern und Kopf. Noch war es ohne Flicken. Magdalena Grohnert hatte es kürzlich erst abgelegt und ihr geschenkt. In der Gewissheit, damit nicht auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Magd auszusehen, streckte Lina den Rücken durch. Sie schielte auf Humbert. Auch er konnte sich sehen lassen. Vor allem aber wusste er sich zu betragen. Wie Lina aus ihrer Zeit im Grünen Baum wusste, zählte das oftmals mehr als ein teurer Rock und blankpolierte Schuhe.

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