Das Bernsteinerbe
Kneiphof heraus sein, sonst gibt es nur böses Gerede.«
»Davon gibt es so oder so schon genug«, erwiderte er ernsthaft.
»Was meinst du damit? Wer redet Schlechtes von mir?« Entrüstet blieb sie stehen.
»Nicht von dir«, wiegelte er unter ärgerlichem Kopfschütteln ab. »Dabei wäre ich froh, wenn es nur darum ginge, ob du deiner Patronin Schande machst oder nicht.«
»Was soll das denn heißen?«
»Reg dich nicht auf«, versuchte er einzulenken. »Dazu ist die wenige Zeit zu schade, die wir für uns haben.«
»Ich habe wohl besser gar keine Zeit mehr für dich. Schließlich will ich weder meiner Patronin noch mir selbst Schande machen.« Sie schickte sich an, sich umzudrehen. Er aber hielt sie fest.
»Bleib, bitte! Es hat doch wirklich nichts mit dir zu tun, Lina.«
»Dann sag doch endlich, was du meinst.«
»Hast du noch nichts davon gehört, was über unsere verehrte Frau Grohnert geredet wird?« Verwundert sah er sie an. »Ihr da in der Küche seid wohl wirklich nur mit dem sauren Kraut im Kochtopf beschäftigt. Letzte Woche schon hat die Witwe Gerke in der Börse unsere Patronin beschimpft. Angeblich ist ihr Gemahl an den Tropfen gestorben, die Magdalena Grohnert ihm verabreicht hat.«
»Das ist nicht wahr!« Lina erbleichte. Hedwig hatte vorhin Ähnliches angedeutet. Sie aber hatte es nicht hören wollen. »Wie kann sie so etwas behaupten?«
»Eben«, stellte er mit einem überheblichen Gesichtsausdruck fest. »Sie hat keinen Grund, das zu sagen. Deshalb ist auch keiner der anderen Kaufleute darauf eingegangen. Noch nicht«, schob er wichtigtuerisch nach. Verblüfft starrte sie ihn an. »Du kannst sicher sein«, erklärte er, »es wird nicht lange dauern, und man findet doch einen Grund, der Witwe Gerke zu glauben. Und dann, meine Liebe, wird es übel.«
»Gott steh uns bei«, besann sie sich ihrer katholischen Erziehung und schlug hastig ein Kreuz. Steutner jedoch fand nach seiner düsteren Prophezeiung erstaunlich rasch wieder zu seiner guten Laune zurück.
»Habe ich dir nicht gesagt, wir sollen unsere Zeit miteinander gut nutzen? Ich hätte da eine hervorragende Idee.« Seine Augen blitzten schelmisch. Wieder legte er ihr den Arm um die Schultern und zog sie eng an sich.
»Lass das!«, versuchte sie abermals, ihn zur Vernunft zu bringen.
»Aber du musst dich doch gar nicht vor dem Gerede fürchten«, begann er abermals. »Oder hast du Angst vor der fetten Wirtin aus dem Grünen Baum, an dem wir gleich vorbeigehen?«
Steutner umarmte sie weiter betont auffällig, nickte gar frech einigen Studenten zu, die von der anderen Straßenseite zu ihnen herübersahen.
»Lass die nur glotzen. Die Alte wird es nicht wagen, unserer verehrten Patronin etwas zu verraten. Magdalena Grohnert mag keinen Tratsch. Nach allem, was in der letzten Woche passiert ist, erst recht nicht.«
»Sie vielleicht nicht, aber Hedwig oder Egloff und Breysig.« Linas gute Laune war wie weggeblasen. »Warum passt du mich auch hier schon ab? Wir wollten uns doch erst drüben in der Vorstadt treffen. Da besteht wenigstens nicht die Gefahr, entdeckt zu werden.«
»Dafür aber besteht dort die Gefahr, den kostbaren Nachmittag ganz anders zu verbringen, als wir das eigentlich vorhaben.« Vieldeutig zwinkerte der lange Bursche ihr zu und kniff sie in den Hintern. »Autsch!«, japste sie, was ihn nur ermunterte, die Geste ein weiteres Mal zu wiederholen.
»Was schlägst du vor?« Energisch rückte sie von ihm ab. Die Arme vor dem üppigen Busen verschränkt, sah sie ihn an. Längst war sie nicht mehr sicher, ob das heimliche Treffen mit ihm eine gute Idee gewesen war. Vielleicht riskierte sie doch zu viel dafür.
»Lass dich einfach überraschen.« Übermütig fasste er sie an der Hand und zog sie in die Goldene Pongasse. Zunächst widerwillig, dann immer neugieriger, folgte sie ihm. Weit holten seine langen, schlaksigen Beine aus. Die riesigen Füße sorgten für eine seltsame Spur im Schnee. Bald zog Steutner sie rechts hinüber zur Köttelbrücke über den Neuen Pregel. Auf der Holzwiese patrouillierten zwei Stadtknechte, die allerdings nicht sonderlich aufmerksam wirkten.
»Du planst wohl kaum, mich bei diesem Wetter hinter einen der Holzstöße zu ziehen?« Abrupt blieb Lina stehen. Dicke Wolken stiegen aus ihrem Mund auf.
»Was traust du mir zu?« Steutner tat beleidigt. »Mag ich auch als einfacher Schreiberling in diesem irdischen Leben keinerlei Reichtümer anhäufen, um dir einen Palast einzurichten, wie du ihn
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