Das Bernsteinerbe
Unauffällig leckte sie sich die Fingerspitzen und fuhr damit die Bögen der Augenbrauen nach. Auch die Lippen befeuchtete sie mit der Zungenspitze, bis sie glänzten. Steutner schmunzelte ob ihrer Eitelkeit und bot ihr mit einer galanten Verbeugung den Arm.
Aus dem niedrigen Gastraum schlug ihnen eine dichte Rauchwolke entgegen. Lina begann zu husten, Humbert versuchte, den Dunst mit der Hand wegzuwedeln. Es roch nach dicker Suppe, feuchten Kleidern und schlechtem Tabak. Einige Männer reckten neugierig die Köpfe, als der Wirt diensteifrig auf die Neuankömmlinge zueilte.
»Stets zu Diensten«, katzbuckelte er vor ihnen und wies einladend mit dem rechten Arm in die Stube. »Ich zeige den Herrschaften ein Plätzchen, an dem sie ungestört sein werden.«
Anzüglich glitt sein Blick über Lina und huschte dann zu Humbert, um ihm zuzuzwinkern. Noch bevor sie protestieren konnten, lotste er sie bereits in den hinteren Teil des Raumes, von dem ein weiterer, kleinerer abzweigte. »So, da wären wir. Hier sind die Herrschaften ganz für sich.«
Beifallheischend sah er sie an. Lina stieß Humbert in die Seite in der Hoffnung, dass er nach der Kammer nebst einem Bad fragen würde. Der Wirt aber kam ihm zuvor. »Was darf ich bringen? Einen Krug Wein oder lieber Bier? Vielleicht noch einen Teller Suppe für die Dame? Sieht ja ganz verfroren aus, die Ärmste.«
Er rieb sich die Arme, dabei saugten sich seine Augen auf Linas üppigen Rundungen fest. Wie gern hätte sie ihm für diese Frechheit eine Maulschelle verpasst. Verärgert kniff sie die Lippen zusammen, trat unterdessen fest mit dem Fuß gegen Humberts Schienbein. Was war nur los? Sonst fehlten ihm nie die rechten Worte, vor diesem dämlichen Wirt aber verwandelte er sich in einen scheuen Hund. Endlich hob er den Zeigefinger und setzte zu reden an. Weiter als bis zum Luftholen kam er jedoch nicht.
Erneut wurde die Gasthaustür aufgestoßen, und zusammen mit einer Wolke eisiger Luft schob sich ein weiteres Paar herein. Lina wandte flüchtig den Kopf, bemerkte einen vornehm gekleideten Herrn mit großem Hut und eine großgewachsene Frau.
»Ihr entschuldigt«, raunte der Wirt und eilte von dannen. Selbst durch den dichten Rauch und über die Köpfe all der anderen Gäste hinweg hatte er sogleich erkannt, um wie viel lohnender das Scharwenzeln um die neu Eingetroffenen für ihn sein würde. Erleichtert ließ Lina sich auf die Bank fallen.
»Was ist jetzt mit der Kammer und dem Rosenbad?«, fragte sie und schälte sich aus dem warmen Wolltuch. Schon glühten ihr die Wangen, so warm war es ihr geworden. »Bis zum Dunkelwerden muss ich wieder in der Langgasse sein. So schön duften können keine Handtücher der Welt, dass ich meine Stellung dafür aufs Spiel setze.« Übertrieben fächelte sie sich mit der Hand Luft zu. Humbert verharrte jedoch schweigend am Durchgang zum großen Gastraum. »Was glotzt du immerzu dorthin?«
Widerwillig erhob sie sich und reckte ebenfalls den Kopf zur Tür. Noch verdeckte der breite Rücken des Wirts die Gesichter der neuen Gäste. Allein sein Gebaren ließ darauf schließen, welch gutes Geschäft er sich von ihnen erhoffte.
»Hast du gesehen, wer das ist?« Steutner klang seltsam.
»Der Kurfürst wird es schon nicht sein«, raunzte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ach, es ist doch immer das Gleiche mit euch Burschen. Eigentlich bin ich selbst schuld. Ich hätte mir denken können, wie weit es mit deinem Gerede von der Kammer und dem heißen Bad im Grafenkrug wirklich her ist. Schade.« Sie wickelte sich das Tuch wieder um Kopf und Schultern. »Und weißt du, was das Schlimmste ist?« Abermals suchte sie seinen Blick, ruhte nicht eher, bis er ihr endlich geradewegs in die Augen schaute und erstaunt »Was?« fragte. »Für einen Moment habe ich wirklich geglaubt, bei dir wäre es anders als bei den anderen Burschen.«
Mit diesen Worten wollte sie nach vorn in den Gastraum stapfen.
»Bist du wahnsinnig?« Aufgebracht hielt Steutner sie am Arm zurück. »Da kannst du jetzt nicht raus!«
»Was …«, wollte sie fragen, doch er presste ihr die flache Hand auf den Mund. »Willst du ausgerechnet Helmbrecht in die Arme laufen?«
»Das da vorn ist Helmbrecht?«, flüsterte sie mit einem Anflug von Ehrfurcht in der Stimme. Im nächsten Moment erbleichte sie. »Und die Frau? Wer ist die Frau an seiner Seite? Doch nicht etwa Magdalena Grohnert?«
»Meinst du, die hat es nötig, sich mit ihm im Grafenkrug zu treffen?«
»Aber
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