Das Bernsteinerbe
ihr von allen Seiten zuteilwurde, genoss sie sichtlich. Würdevoll in alle Richtungen grüßend, schritt sie durch die Reihen, geradewegs auf den Tisch am Ofen zu. Ein rätselhaftes Lächeln umspielte ihren Mund.
Auf einmal wusste Magdalena, warum die Kneiphofer sich ihr gegenüber so eigenartig verhielten. Dorothea steckte dahinter. Darauf hätte sie gleich kommen können. Der ungeheuerliche Auftritt damals in der Börse war also mehr als nur ein Ausbruch unsäglichen Kummers gewesen. Der Spruch über der Bank, auf der Marietta und sie Dorothea letztens abgesetzt hatten, war ein Fingerzeig gewesen: Dorothea nährte Schlangen an ihrer Brust und gebärdete sich dabei selbst wie eine solche. Neid und Bosheit zerfraßen sie von innen heraus und ließen sie Gift in alle Richtungen sprühen.
18
N och bevor Dorothea den Tisch erreichte, bäumte sich Helmbrecht jäh auf, stieß ein schauerliches Stöhnen aus und kippte seitlich vom Stuhl. Laut polterte sein kräftiger Leib auf den Boden, direkt zu Dorotheas Füßen.
»Hilfe!«
Entsetzt warf die Witwe die Arme in die Luft. Magdalena sprang auf, schob sie beiseite und kniete neben Helmbrecht nieder. Geschickt brachte sie seinen Leib in die Seitenlage, hob seinen Kopf leicht an und fächelte ihm mit der flachen Hand Luft zu.
»Gebt mir einen Löffel«, streckte sie die freie Hand fordernd nach oben. Marietta erwachte wie aus einer Starre, griff den Löffel und reichte ihn ihr. »Ein Kissen«, war das Nächste, wonach Magdalena verlangte, während sie Helmbrechts Haupt in ihren Schoß bettete, den Kiefer aufzwang und mit dem Löffel die Zunge fixierte. Marietta klopfte das Kissen, bevor sie es unter Helmbrechts Kopf schob. Vorsichtig legte Magdalena ihn ab. Die Hände beließ sie auf seinen Schultern, in der Hoffnung, sie besäße wenigstens einen Teil der heilenden Wirkung, die Carlottas Hände auf Kranke ausübten.
Helmbrechts Leib wand sich weiter in wilden Zuckungen. Bald krümmte er sich wie ein kleines Kind zur Seite, bald fuhren die Glieder jäh auseinander. Sie tat alles, wenigstens den Kopf ruhig zu halten, um ein Ersticken an der eigenen Zunge zu verhindern.
»Keine Sorge«, stieß sie so laut wie möglich aus, um die anderen Wirtshausbesucher zu beruhigen. »Helmbrecht hat die Fallsucht. Es wird eine Zeitlang dauern, dann ist er wieder bei Sinnen.«
Tatsächlich hatte sie dies schon einmal miterlebt, allerdings waren im Grünen Baum weitaus mehr Zeugen zugegen als bei Helmbrechts Anfall vor vier Jahren im Spreewald. Auch dieses Mal hielten die Anwesenden respektvollen Abstand zu dem Ärmsten, auf den Gesichtern eine Mischung aus blankem Entsetzen, Widerwillen und purer Angst. Einige bekreuzigten sich, andere murmelten Gebete.
»Was ist geschehen?« Schnaufend zwängte sich die Wirtin durch die Reihen. Beim Anblick Helmbrechts stieß sie ein heiseres »Allmächtiger!« aus und schlug sich sogleich die Hand vor den Mund. »Kann ich helfen?«, fand sie schließlich zur gewohnten Geschäftigkeit zurück. Schnaufend machte sie Anstalten, sich neben Magdalena zu Boden zu lassen.
»Danke, aber fürs Erste bleibt abzuwarten, was weiter geschieht«, antwortete sie. Das Zucken in Helmbrechts Körper wurde bereits schwächer. Prüfend legte sie ihm die Hand auf die Stirn. Die Haut fühlte sich nicht mehr eiskalt an. Ein gutes Zeichen.
»Ich fasse es nicht!«, brachte sich Dorothea mit weinerlicher Stimme in Erinnerung. »Wann nimmt das alles nur ein Ende?«
Magdalena sah auf. Die hochgewachsene dunkle Gestalt rang verzweifelt die Hände in der Luft und schaute flehentlich zur Zimmerdecke empor, bevor sie ihren Blick bedächtig über die Gesichter der Anwesenden wandern ließ.
»Mir kommt es vor wie ein Fluch«, begann sie leise und sonnte sich in der unheilschwangeren Stimmung. »Wo auch immer in den letzten Wochen Magdalena Grohnert auftaucht, liegt plötzlich ein Mann im Sterben. Denkt an den Zwischenfall am Lastkran im Oktober. Nur dank Wundarzt Koeses beherztem Eingreifen ist der Ablader gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen. Mein armer Martenn dagegen konnte sich Magdalenas nicht mehr erwehren. Tut doch wenigstens etwas, dass es den verehrten Helmbrecht jetzt nicht auch noch dahinrafft! Ruft einen Medicus, schickt nach jemandem, der sein Fach versteht. Macht irgendetwas, dass sie ihr böses Werk nicht wieder ungehindert zu Ende bringt.«
Die letzten Sätze schrie sie empört heraus. Aufgeregt ruderte sie mit den Armen, lief zu dem nächstbesten
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