Das Bernsteinerbe
es zu verdanken, dass Helmbrechts Schwägerin damals die schwere Geburt überstanden und den prächtigen Stammhalter geboren hat. Längst läuft er und spricht wie ein Wasserfall.«
Magdalena spürte Helmbrechts Blick auf sich ruhen und sah ihn ebenfalls an. Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben. Plötzlich meinte sie, ihm wieder zum ersten Mal gegenüberzustehen. Triefend nass war sie nach der Niederkunft von Helmbrechts Schwägerin gewesen. Die Hebamme hatte der Wöchnerin und damit auch ihr einen riesigen Trog kalten Wassers übergeschüttet. Mit der drastischen Maßnahme wollte sie die Gebärende vor der drohenden Ohnmacht retten. Der Blick in Helmbrechts bernsteinfarbene Augen hatte Magdalena sogleich jeden Gedanken an die Unangemessenheit ihres Aufzugs vergessen lassen. Selbst die Anstrengung, die es sie gekostet hatte, das Kind im Leib seiner Schwägerin zu drehen, war wie weggeblasen gewesen. Einzig Helmbrechts Schmunzeln, der sonore Klang seiner Stimme, der Geruch nach Tabak und Kaffee hatten noch gezählt. Nicht viel anders roch er nun. Auch die Farbe seiner Augen und der Ton, in dem er sprach, hatten sich kaum verändert. Nicht einmal die ersten grauen Haare, die in seinem dunklen, kinnlangen Schopf aufblitzten, störten die Erinnerung. Wie gern hätte sie sich ihm entgegengeworfen, sich eng an seinen Leib geschmiegt und ihn leise um Verzeihung gebeten für all die unzähligen Male, die sie in den letzten Jahren seine treue Freundschaft viel zu selbstverständlich hingenommen hatte! Verlegen sah sie zu Marietta.
»Es freut mich zu hören, wie gut es dem Kleinen geht. Die Mutter hat hoffentlich noch ein, zwei weitere Kinder gesund zur Welt gebracht.«
»Oh, hat Helmbrecht Euch auch davon nichts erzählt?« Marietta war ehrlich erstaunt. »Manchmal frage ich mich, was in ihm vorgeht. Ein kleines Mädchen ist bei seiner Schwägerin in diesem Frühjahr noch gefolgt. Sie trägt übrigens meinen Namen, was niemanden verwundert, denn immerhin ist Helmbrechts Schwägerin meine kleine Schwester, und ich bin damit die glückliche Taufpatin des Kindes.«
Ein Anflug von Stolz huschte über ihr Gesicht. Sie straffte den Oberkörper und reckte die Hände zum Kopf, das aufgesteckte weißblonde Haar zu lösen. Mit einer schwungvollen Bewegung schüttelte sie es auf. Einem goldenen Strom gleich ergoss es sich über Haupt und Schultern. Ein Sonnenstrahl traf vom Fenster auf ihr kobaltblaues Taftkleid. Ein Rätsel, dass sich die anderen Männer im Gastraum nicht sogleich nach diesem Engel umschauten! Magdalena konnte nicht anders, als sie bewundernd anzustarren.
»So verbindet Euch beide also die Leipziger Familie von Helmbrechts Bruder miteinander«, stellte sie erleichtert fest. »Schön, Euch kennenzulernen, Marietta. Noch mehr aber freut mich die gute Nachricht von Eurer Schwester. So, wie es damals aussah, hatte ich Angst, sie versagte sich weitere Kinder.«
»Dass es nicht so weit gekommen ist, ist allein Euer Verdienst. Wenn Ihr nicht rechtzeitig aufgetaucht wärt, hätte die unfähige Hebamme meine Schwester mitsamt ihrem Sohn sterben lassen. Nie wird die Familie Euch das vergessen. Ich bin so glücklich, Euch das endlich selbst sagen zu können.«
Sie beugte sich vor und drückte ergriffen Magdalenas Hand. Aus den Augenwinkeln spähte Magdalena zu Helmbrecht. In seinen Zügen war nichts zu lesen.
»Zu Recht fragt Ihr Euch jetzt sicher, warum unser guter Freund seine Schwägerin und ihr weiteres Schicksal Euch gegenüber nicht mehr erwähnt hat. Bucht es einfach als Ausdruck seiner Unbeholfenheit in Familiendingen. Solange ich ihn kenne, hat er nie viel Worte über seine Nächsten verloren, noch hat er je einen Hinweis gegeben, welcher Frau sein Herz gehört. Dass es eine solche Dame gibt, dessen bin ich seit einigen Jahren fest überzeugt.«
Sie schenkte Magdalena einen vielsagenden Augenaufschlag, bevor sie das Haar abermals nach hinten warf. Helmbrecht war indes blass geworden, starrte ziellos auf die gegenüberliegende Wand. Gleichzeitig begannen seine Finger zu zittern. Als Magdalena ihre Hand darauf legte, erschrak sie, wie eisig sie sich anfühlten.
»Ist es denn die Möglichkeit?« Eine schneidend klare Frauenstimme drang über das emsige Gemurmel der anderen Kaufleute hinweg. Sofort verstummten die Gespräche, und die Männer drehten die Köpfe zum Eingang. »Bringt mir einen Krug Bier und ein Gedeck. Ich weiß schon einen Platz«, wies Dorothea Gerke die Wirtin an.
Die Aufmerksamkeit, die
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