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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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zu.
    »Marthe wird Euch das Geld geben, das Euch für Eure Dienste zusteht«, knurrte er, sobald der letzte Knopf geschlossen war. »Lebt wohl, Fräulein Grohnert.«
    Unten in der Diele sah Marthe sie nicht einmal an, als sie ihr die Münzen für die Behandlung reichte. Schweigend nahm Carlotta die Heuke vom Haken, schob die Patten zurecht und schnallte sie unter die Stiefel. »Lebt wohl«, rief sie leise und eilte aus dem Haus.
    Ohne nachzudenken, wandte sie sich auf der Straße nach links der Brücke zu, lief achtlos den gewohnten Weg am Fischmarkt vorbei in den Kneiphof hinüber. Zu Christoph und Pantzer in die Apotheke zu gehen, stand ihr nicht mehr der Sinn. Heydrichs Ansinnen machte es ihr unmöglich, den beiden unbeschwert gegenüberzutreten. Unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte.
    Bildete sie sich das nur ein, oder steckten die Leute hinter ihrem Rücken tuschelnd die Köpfe zusammen? Es schien ihr, als öffnete sich im dichten Gedränge des Vormittags eine schmale Gasse für sie. Niemand wollte ihr zu nahe kommen oder sie gar zufällig berühren. Hinter der Brücke wandte sie sich nach links durch die Alte Domgasse der Langgasse zu. Wie so oft um diese Zeit wurde der Trubel nahe der Krämerbrücke noch dichter. Weithin sichtbar ragte endlich der reichverzierte Giebel des Singeknecht’schen Anwesens auf. Auf einmal empfand Carlotta den Anblick wie eine rettende Insel inmitten des Feindeslands. Unbedingt musste sie dort hingelangen. Trotzdem verlangsamten sich ihre Schritte, und sie blieb stehen, um das Gebäude zu betrachten.
    Stolz wie eh und je schaute der obenauf thronende Neptun auf das Geschehen zu seinen Füßen hinab. Das von Reliefs und Figuren aus uralten Überlieferungen reich übersäte Sandsteinportal hob sich auffällig aus der Reihe der Nachbarhäuser heraus. Der dreizeilige Sinnspruch oberhalb der Eingangstür verkündete:
    ANDRE HABEN FÜR UNS GEBAUT,
WIR BAUEN FÜR SPÄTRE,
    UND SO STATTEN WIR AB ÜBERKOMMENE PFLICHT.
    Nachdenklich murmelte Carlotta den Spruch vor sich hin. Bislang hatte sie ihm wenig Beachtung geschenkt. Zu selbstverständlich schien es ihr, mit der Mutter das Erbe der Singeknechts angetreten zu haben. Nun aber stieß ihr auf, wie merkwürdig es war, dass ausgerechnet Paul Joseph Singeknecht als Erbauer des Hauses diese Zeilen gewählt hatte. Anders als sein Bruder, Magdalenas Vater Joseph, hatte er weder Gemahlin noch eigene Kinder gehabt. Wie hatte er davon ausgehen können, etwas für seine Nachfahren zu erschaffen? Oder war das alles ganz anders gemeint: nicht als selbstverständliches Erbe innerhalb der Familie, sondern als Erbe für die Nachgeborenen allgemein? Das Erbe konnte nicht einfach übernommen, sondern musste hart erarbeitet werden. So mochten es die Kneiphofer verstehen, die noch immer an Magdalenas berechtigtem Anspruch auf Haus und Kontor zweifelten. Magdalena hatte in Besitz genommen, was sie meinte, in Besitz nehmen zu dürfen, ohne sich je mit den Leuten am Pregel auseinanderzusetzen, geschweige denn, sich in ihren Augen um das Erbe verdient gemacht zu haben. Kein Wunder, dass ihr Erfolg und Reichtum geneidet wurden. Farenheid, Gellert und Boye wollten sie voller Häme in den Schmutz ziehen. Auch Heydrich versuchte letztlich aus Neid, sie von dem Sockel der Vorfahren zu stoßen.
    Doch nicht allein das wunderschöne Haus hatte sich die Mutter angeeignet. Obendrein hatte sie das Kontor der Singeknechts schon bald wieder zu einem der ersten Handelshäuser am Platz werden lassen. Dabei hatte sie zuvor weder einen besonderen Ruf als Kauffrau genossen, noch hatte sie mit der Wundarztkunst einen angesehenen Beruf erlernt. Zu allem Überfluss entstammte sie dem kaiserlichen Heerestross und weigerte sich, durch die Heirat mit einem Kneiphofer Zunftgenossen wenigstens diesen Makel zu beseitigen. Dass sie sich stattdessen an den Leipziger Helmbrecht hielt, ihn nach all den Jahren aber immer noch nicht geehelicht hatte, machte es nicht besser. Alles in allem waren das in den Augen der Kneiphofer unermesslich viele Beweise der Singeknecht-Grohnert’schen Überheblichkeit.
    Kaum wagte Carlotta, den Gedanken zu Ende zu spinnen. Scham überkam sie, wenn sie an Farenheids Unterstellungen dachte. Die bedeuteten nichts anderes, als dass sie mit den Kurfürstlichen gegen ihre eigenen Standesgenossen paktierte! Am liebsten wäre sie auf der Stelle im Erdboden versunken. Dabei trug sie selbst Schuld an dem Unglück: In all ihrer von den Singeknecht’schen Ahnen

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