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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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dämmerige Wohnstube um. Die große Uhr auf dem Wandbord tickte laut. Es blieb nicht mehr viel Zeit, Entscheidungen zu treffen.
    »Du wirst auch ohne fremde Hilfe aus Königsberg weggehen können«, sagte sie zu Magdalena. »Vergiss nicht: Wir pflegen seit Jahren rege Kontakte zu verschiedenen Handelshäusern entlang des Frischen Haffs. Es wird uns schon gelingen, über die Wintermonate eine angemessene Bleibe zu finden. Vertrau mir, Mutter, alles wird gut.«
    »Danke, mein Kind. Was aber ist mit dir? Habe ich mich da gerade verhört? Warum sprichst du nur von mir? Du musst natürlich mitkommen! Allein werde ich den Kneiphof nicht verlassen.«
    »Nein, das geht nicht«, widersprach Carlotta. »Ich muss mich doch ums Kontor kümmern – oder willst du das etwa Egloff überlassen? Keine zwei Tage wird er benötigen, alles durcheinanderzubringen, Bestellungen und Wareneingänge zu verwechseln, falsche Mengen zu verschicken. Vom trägen Breysig oder dem flattrigen Steutner ganz zu schweigen. Der hat doch nur noch Augen für Lina.« Carlotta lachte übertrieben, um Magdalena aufzuheitern. Leise fügte sie hinzu: »Außerdem gibt es noch eine andere Aufgabe für mich, die noch entscheidender ist.«
    »Seltsam, Kleines, dass du dich ausgerechnet jetzt um das Kontor zu kümmern beginnst«, erwiderte Magdalena erstaunt. »All die Jahre habe ich mir gewünscht, dein Interesse für unser Handelsgeschäft zu wecken. Immer stand deine Liebe zur Wundarztkunst dazwischen, von einer Liebe ganz anderer Art schweigen wir besser. Nun, der alte Kepler wird sich gewiss freuen zu hören, dass du dich zumindest in dieser Hinsicht anders entschieden hast.«
    »Was hat der alte Kepler damit zu tun?« Kaum wagte Carlotta, die Mutter anzuschauen.
    »Sei vorsichtig, mein Kind, du spielst mit dem Feuer«, vermied Magdalena eine klare Antwort und setzte nach einer kleinen Pause nach: »Gib zu: Es geht dir gar nicht ums Kontor. In Wahrheit ist es dir darum zu tun, unsere Wundärztinnenehre gegen den alten Medicus zu verteidigen. Du willst die Gerüchte um die Bernsteinessenz klären, nicht wahr? Aber da gibt es nichts zu klären, mein Kind. Die Essenz ist von mir getreu meiner altbewährten Rezeptur hergestellt. Du weißt, wie viel Wert ich darauf lege. Lass dir nichts anderes einreden und versprich mir, gut auf dich achtzugeben. Vertrau keinem, nicht einmal denen, die du seit langem schon zu kennen meinst.«
    Sie hielt inne und sah sie eindringlich an, um plötzlich nach ihren Händen zu greifen. »Ach, was rede ich da, mein Kind? Du kannst nicht hierbleiben! Du musst mit mir kommen, ob es dir passt oder nicht. Noch bin ich deine Mutter und trage die Verantwortung für dich. Soll das Kontor ruhig zugrunde gehen! Auch über unsere Rezepturen mögen sie reden, was sie wollen. Viel wichtiger ist, dass dir nichts geschieht. Du bist die Einzige, die mir geblieben ist, nachdem dein armer Vater mich leider viel zu früh verlassen hat.«
    Behende drehte sie sich um, ging zum Nussbaumtresor und schloss ihn auf. Mit zittrigen Fingern nahm sie die geheimnisvolle Schachtel heraus. Bedächtig hob sie den Deckel, lugte hinein, warf einen Blick auf Helmbrecht und erklärte dann: »Du hast es recht erkannt, Liebes: Wir Grohnert-Frauen sind stark. Wir brauchen keine fremde Hilfe. Wir haben schon weitaus schwierigere Herausforderungen überstanden. So schnell wie möglich brechen wir auf. Wir nehmen Geld mit, ein paar Briefe, etwas Bernstein – darunter diesen hier – und natürlich unsere Wundarztkiste sowie die Rezepturen. Wir fangen einfach anderswo noch einmal von vorn an. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass wir das tun müssen.« Sie presste die Schachtel gegen den Busen und reckte das Kinn entschlossen in die Luft.
    Beim Hinweis auf den Bernstein, der sich offenbar in der Schachtel befand, wurde Helmbrecht blass, sagte aber nichts. Carlotta musterte ihn verwundert und ahnte, dass er den Stein ihrer Mutter geschenkt hatte und sich nun fragte, was sie damit vorhatte: ihn zu Geld machen oder als Andenken bewahren.
    »Mach dir keine Sorgen um mich, Mutter. Ich bin aus demselben Holz geschnitzt wie du.« Carlotta zwang sich zu einem Lächeln. »Natürlich weiß ich, was in der Stadt geredet wird: Ich soll den alten Kepler krank gemacht haben, um ihn mir gefügig zu machen. Doch das ist töricht, genauso, wie es töricht ist, dass du mit Gerke Gleiches vorgehabt hättest, dass sein Tod nur ein Versehen von dir gewesen wäre. Einfach ungeheuerlich,

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