Das Bernsteinerbe
dass Carlotta nicht da ist. Die hätte ihre Freude, auch wenn der Student dieses Mal heil davongekommen ist. Doch keine Sorge. Ich erspare dir, dich als mein Lebensretter aufspielen zu müssen.«
»Was soll das?« Trotz Mathias’ widerwärtigem Gebaren machte der Medicus Anstalten, ihn zu untersuchen.
»Nimm deine dreckigen Finger von mir!« Ein böses Lächeln umspielte Mathias’ Mundwinkel, die dunklen Augen blitzten gefährlich. »Es geht dir gar nicht darum, mir zu helfen. Du denkst, es ist eine günstige Gelegenheit, dich zu rächen. Hier, los!« Mit einem Ratsch riss er sich den Kragen auf und streckte ihm die Kehle entgegen. »Auf, geh mir an die Kehle. Drück zu! Das willst du doch.«
Sein Lächeln verwandelte sich in ein niederträchtiges Glucksen. »Würde ich an deiner Stelle nicht anders machen, wenn ich wüsste, dass mein Liebchen sich einem anderen hingegeben hat.«
»Was redet Ihr da? Ihr seid von Sinnen!« Kepler rang um Fassung, versuchte noch einmal, nach Mathias’ Verletzungen zu schauen. Mit einer abrupten Bewegung stieß der Kurfürstliche ihn fort.
»Du wirst es schon noch begreifen, glaub mir. Am besten fragst du Carlotta einfach selbst. Vielleicht lässt sie dich auch mal ran. So schnell solltest du die Hoffnung nicht aufgeben. Das Warten lohnt sich. Schön ist es mit ihr!«
Kaum hatte er die letzten Worte ausgesprochen, wollte Kepler sich auf ihn stürzen. Beherzt griff Steutner ein und zerrte ihn fort. »Nicht! Lasst ihn. Er will Euch doch nur provozieren!«
Erst nach einigem Hin und Her gab Kepler nach. Mathias stellte sich unerwartet flink auf die Füße, klopfte den Schmutz aus seinem blauen Rock und richtete den Hut.
»Besser, Ihr verschwindet so schnell wie möglich aus der Stadt«, presste der Medicus zwischen den Lippen hervor. »Sonst kann ich für nichts garantieren.«
»Oh, der tapfere Maulheld will mir drohen!« Hämisch grinste Mathias. »Dass ich nicht lache! Wie heißt es doch so schön von euch Königsbergern? Scharf mit der Zunge, aber nie scharf mit den Waffen! Mach dir keine Sorgen: Auf deinen Rat kann ich gut verzichten. Ich weiß auch so, was zu tun ist.«
Er warf ihm einen abschätzigen Blick zu und trottete aufreizend langsam davon.
»Ist das nicht eigenartig?« Sobald er um die nächste Ecke verschwunden war, traute Lina sich aus ihrem Versteck und trat zu den beiden Männern. »Wie kann er so rasch wieder bei Kräften sein?«
»Ein Kurfürstlicher eben! Der ist das Prügeln gewohnt«, murmelte der Medicus, nickte ihr und Steutner zu und tauchte in die andere Richtung im Dunkel der Nacht unter.
»Der ist ganz schon wütend«, sagte Lina.
»Es ist eben nicht leicht zu erfahren, bei einer Frau nicht der Erste zu sein.« Steutner schniefte.
»Was?« Erschrocken sah sie ihn an. Ihr wurde noch banger. Sie fürchtete sich vor dem, was jetzt kommen würde.
Auf einmal aber breitete Steutner die Arme aus und zog sie ganz fest an sich.
»Mag sein, dass es nicht leicht ist«, wisperte er und verbarg sein Gesicht an ihrem Hals. »Aber wer weiß schon, warum man ein bisschen später dran ist als ein anderer?«
»Ach, Humbert«, raunte sie erleichtert. »Wer weiß schon, was wann im Leben geschieht?«
23
A n diesem Mittwoch betrat Carlotta Keplers Haus in der Schmiedegasse mit klammem Herzen. Die alte Marthe nahm mürrisch ihre Heuke entgegen. Statt zu grüßen, warf sie einen vorwurfsvollen Blick auf die nassen Schuhe und schlammigen Patten. Folgsam streifte Carlotta sie am Eisen ab, schob die Patten mit den Fußspitzen gegen die Wand. Ihre Knie zitterten, als sie die Treppe in den zweiten Stock hinaufstieg. Das lag zum einen an der Kälte, zum anderen aber auch an der Furcht davor, wie der alte Kepler sie empfangen würde. Noch hatte sie keine Gelegenheit gefunden, Heydrichs Anliegen anzubringen.
»Christoph ist nicht da«, tönte die dürre Hanna, kaum dass sie das Schlafgemach des alten Stadtphysicus betrat. Die stickige Luft nahm ihr den Atem. Sie grüßte stumm mit einem Nicken und stellte ihre Wundarzttasche auf den Tisch am Fenster. Die beschlagenen Scheiben ließen kaum Helligkeit herein. Das Feuer im Ofen knisterte, vom Flur aus wurde kräftig Holz nachgelegt. Nach wenigen Atemzügen stand Carlotta bereits der Schweiß auf der Stirn.
Keplers Gesicht war rot angelaufen, das Haar klebte nass an der hohen Stirn, von der Nase perlte bereits ein verräterischer Tropfen. Bis zum Kinn hatte man ihm das dicke Federbett hochgezogen, die Arme fest
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