Das Bernsteinerbe
ausgerechnet dir zu unterstellen, das Leben eines Menschen zum eigenen Vorteil aufs Spiel zu setzen! Einst hast du sogar deine ärgsten Feinde vor dem Tod gerettet. Ich werde beweisen, wie hanebüchen das alles ist und wie sehr sie sich in uns getäuscht haben. Aber dazu muss ich hier im Kneiphof bleiben. Du dagegen solltest sofort von hier verschwinden. Wie wäre es mit einer Reise zu Siegfried Hartung nach Frauenburg? Seit langem schon brennt er darauf, dir seine berühmte Wunderkammer vorzuführen. Wenn du morgen beizeiten aufbrichst, kannst du bis Samstag bei ihm sein.«
»Nein!«, schallte Helmbrechts Stimme durch die Stube. »Ihr werdet nicht nach Frauenburg reisen. Ihr könnt Euch dort nicht für längere Zeit einquartieren.«
»Warum nicht?« Verwundert sah Magdalena ihn an. »Siegfried Hartung ist mir seit Jahren gut bekannt. Mein verstorbener Gemahl hat noch von Frankfurt aus Geschäfte mit ihm gemacht. Ist es das, was Euch an ihm …«
»Es geht einfach nicht«, unterbrach er sie schroff.
»Das wird Hartung wohl am besten selbst entscheiden«, sagte Carlotta. »Gleich nach dem Essen sollten wir ihm eine Nachricht schicken.«
»Ihr werdet ihm nichts schicken, genauso, wie Ihr nicht nach Frauenburg reisen werdet.«
Aufgewühlt ballte Helmbrecht die Hände zu Fäusten.
»Aber warum? Was habt Ihr gegen Hartung? Ihr wollt mir doch nicht im Ernst den Besuch bei einem alten Freund meines verstorbenen Gemahls verwehren?«
Eindringlich musterte Magdalena sein Antlitz, auch Carlotta versuchte, darin zu lesen. Um ihnen zu entgehen, trat er ans Fenster, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und sprach gegen die Scheibe: »Es geht einfach nicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Tut nicht so geheimnisvoll.« In Magdalena erwachte der alte Trotz. »Am besten, Ihr verratet uns den Grund jetzt gleich. Früher oder später werden wir ihn ohnehin herausfinden. Ihr kennt meine Ausdauer, was solche Dinge anbetrifft.«
Carlotta schmunzelte, froh, ihre Mutter in der vertrauten Stärke zu erleben. Helmbrecht indes wand sich unruhig.
»Bitte, Magdalena, belasst es einfach dabei: Ihr könnt nicht dorthin. Mehr kann ich nicht sagen. Ein Schwur bindet mich.«
»Das wird ja immer schöner!«, platzte Carlotta dazwischen. »Was kann schwerwiegend genug sein, dass Ihr uns im Stich lasst?«
Noch schwankte sie, ob sie ihm die Verbindung zu der fremden Blonden geradewegs auf den Kopf zusagen sollte. Sie äugte zu Magdalena. Die blickte gebannt auf Helmbrechts breiten Rücken, wirkte dabei jedoch weniger verstört als nachdenklich. Herausfordernd baute sich Carlotta neben ihm auf.
»Könnt Ihr uns bitte erklären, was Ihr eigentlich wollt? Erst fordert Ihr meine Mutter auf, schnellstmöglich die Stadt zu verlassen, weil es hier angeblich zu unsicher für sie geworden ist. Dann aber weigert Ihr Euch, sie auf der Reise zu begleiten, und jetzt wollt Ihr gar verbieten, dass sie bei einem alten Freund Zuflucht sucht! Und das alles eingedenk der Tatsache, dass sie Euch vor kurzem erst im Grünen Baum wieder einmal in einer Notlage selbstlos geholfen hat.«
Zitternd vor Empörung hielt sie inne, wartete, ob er auf ihre Vorhaltungen eingehen wollte.
»Liebes, lass gut sein.« Magdalena versuchte, sie zurückzuhalten.
»Nein, Mutter!« Noch dichter schob sie sich an Helmbrecht heran. »Darf ich Euch an unsere Reise durch den Spreewald vor vier Jahren erinnern? Als Ihr dort einen schrecklichen Anfall erlitten habt, hat meine Mutter Euch das Leben gerettet. Auch angesichts der aussichtslos scheinenden Niederkunft Eurer Schwägerin hat sie keinen Moment gezögert zu helfen, ganz gleich, in welche Gefahr sie sich selbst dabei begeben hat. Ihr aber fürchtet Euch jetzt sonderbarerweise nicht zum ersten Mal davor, meiner Mutter offen beizustehen. Denkt nur an jene Nacht im Wald, kurz vor Thorn, als meine Mutter der Hexerei bezichtigt wurde. Was habt Ihr da für sie getan?«
Carlotta rüttelte ihn am Arm. Er ließ es geschehen. Ihre Stimme überschlug sich, als sie ihm entrüstet entgegenschleuderte: »Gar nichts! Weggeschickt habt Ihr uns, habt uns ohne ein einziges Wort der Verteidigung einfach im Stich gelassen. Kneift Ihr nun schon wieder, sobald die erste Gefahr am Horizont dräut?«
»Du irrst dich«, erwiderte Helmbrecht tonlos.
Über ihrem Ausbruch war er erbleicht. Die Bernsteinaugen verfinsterten sich. Beistand heischend, schielte er zu Magdalena. Die aber wich aus, was ihn kurz stutzen ließ. Beschwörend hob er die
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