Das Bernsteinerbe
Beschneidung unserer uralten Mitspracherechte verbunden war. Über Jahrhunderte hinweg haben die Bürger unserer drei Städte diese genossen. Die aufzugeben, sollte nicht ohne Not geschehen. Zu Recht hat Euer Schöppenmeister Roth darauf hingewiesen, wie wenig es auf das Geld ankommt. Die Geschäfte am Pregel laufen gut, auf beiden Seiten des Flusses. Keine der Kaufmannschaften leidet Not, ganz gleich, ob aus dem Kneiphof, der Altstadt oder dem Löbenicht.
Letztlich geht es eher darum, abzuwägen, wie es künftig mit unserer Stadt und dem Kurfürsten weitergeht. Die Zeiten ändern sich. Angesichts der Litauer und Schweden, die immer wieder gefährlich nah an unsere Stadt heranrücken, ist die Antwort klar. Dauerhaft muss eine schlagkräftige Armee bereitstehen, um uns zu verteidigen, sonst gehen wir sang- und klanglos unter. Deshalb ist es so wichtig, dass der Kurfürst die Truppen im Notfall sofort losschicken kann. Bislang hat er dazu umständlich die Stände hören, mit ihnen langwierig das Für und Wider eines militärischen Eingriffs besprechen müssen.
Doch wie gesagt, die Zeiten sind andere geworden. Die Kräfte haben sich neu verteilt, die Bedrohung um uns herum ist gewachsen. Deshalb brauchen wir einen guten, verlässlichen Beistand. Und den kann uns auf Dauer nur ein starker Kurfürst gewähren. Dazu aber müssen wir ihm diese Stärke auch zubilligen. Und das ist nun einmal nicht umsonst zu haben. Das kostet Geld und vor allem den Mut, auf alte Rechte zu verzichten.«
Er hielt inne und strich sich über den struppigen Bart. Seine Augen blickten trüb, die Linsen waren eine Spur zu gelbstichig.
»Glaubt mir, mein Kind, ich lebe lange genug hier oben am Frischen Haff und weiß, wie rasch die Litauer uns überrollen. Auch die Zuflucht bei Johann II. Kasimir wird uns nicht viel nutzen. Die Polen rufen selbst lauthals nach den Österreichern, um sich der Schweden und Litauer zu erwehren. Wie sollen die uns da auch noch schützen? Unsere einzige Chance auf eine gesicherte Zukunft liegt bei Friedrich Wilhelm. Ich bin froh, dass wir Löbenichter das begriffen haben. Der Preis dafür ist hoch, jedoch nicht zu hoch. Wir sollten dem Kurfürsten geben, was er verlangt, damit er uns gibt, wonach uns verlangt. Es ist ein Geschäft, genauso gut und genauso schlecht wie jedes andere.«
»Genau!«
»Schluss mit dem ewigen Zaudern!«
»Wir brauchen einen starken Kurfürsten, um stark genug gegen unsere Feinde zu sein.«
»Gebt dem Kurfürsten, was er braucht, dann kriegen auch wir von ihm, was wir brauchen!«
Die Männer an den umliegenden Tischen hatten Tromnaus langen Ausführungen mit wachsender Aufmerksamkeit gelauscht. Beifällig klopften sie auf den Tisch, lachten einander beseelt von den eigenen, klugen Einsichten zu. Carlotta wusste nicht, was sie davon halten sollte. Ratlos wanderte ihr Blick umher. Die Augen der meisten Männer im Raum schimmerten bereits glasig. Die Schankmagd kam kaum nach, die Bierkrüge aufzufüllen. Das Schneetreiben draußen und Tromnaus Loblied auf einen starken Kurfürsten schienen den Durst noch zu verstärken.
Carlotta fragte sich, ob sie überhaupt noch wussten, weswegen sie einander zuprosteten. Eine knappe Tagesreise südlich von Königsberg dürfte der Zwist mit Friedrich Wilhelm an Dringlichkeit eingebüßt haben. Von den Brandenburgern erwartete er weniger hohe Abgaben als von den Bürgern am Pregel, auch ging es bei ihnen weniger um die Aufgabe altverbriefter Rechte. Dennoch platzten sie alle schier vor Stolz, dem Herrscher unerschütterliche Treue zu bekunden und dem untertänigen Kniefall der Altstädter und Löbenichter nachzueifern. Tromnau kam kaum nach, mit jedem, der ihm den Krug entgegenstreckte, anzustoßen.
Der sonst so redselige Thiesler war ob der weitschweifigen Erklärungen des Kaufmanns verstummt. Erschöpft stierte er auf den Tisch, pickte mit den Fingern einzelne Brotkrümel auf. Auf einmal kam Carlotta eine Idee.
»Wisst Ihr, verehrter Tromnau, woran mich Eure Ausführungen erinnern?«
Nichts Gutes ahnend, sog Magdalena neben ihr scharf die Luft ein. Noch bevor sie unter dem Tisch wieder nach ihr treten konnte, wich Carlotta zur Seite.
»Sie erinnern mich an eine treffende Beschreibung, die mir vor kurzem jemand aus der Altstadt von den Königsbergern gegeben hat.«
Sie hielt inne. Noch immer tat es weh, an Christoph zu denken, erst recht schmerzte es, seine Worte aufzugreifen. Dann aber wurde ihr mit einem Mal klar, wie sein Verhalten der letzten
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