Das Bernsteinerbe
dichte Wolke Schnee und Kälte drang herein. Einige Augenblicke später wurde der Eindringling sichtbar. Es war einer der beiden Fuhrleute, die die Wagen der Löbenichter Kaufleute lenkten. Suchend sah er sich im Schankraum um, bis er seine Herren entdeckte.
»Das wird heute nichts mehr«, rief er und nahm den breitkrempigen Hut vom Kopf. Dabei wirbelte ein Schwall Schneeflocken durch die Luft. Einige der Gäste schüttelten sich verärgert. »Pass doch auf!« Der Fuhrmann störte sich nicht an ihrem Protest, sondern begann mit sichtlichem Vergnügen, auch noch die Nässe aus dem wollenen Umhang zu klopfen. Weitere Tropfen stoben durch die Luft. Zu allem Überfluss stampfte er mit den Stiefeln auf, um sie vom Schneematsch zu befreien. Große Pfützen umringten seine Füße. Tromnau und Hohoff wechselten verärgerte Blicke, Magdalena schmunzelte still in sich hinein. Thiesler dagegen begehrte lauthals auf: »Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen? Das muss heute noch etwas werden mit der Weiterfahrt. Bis nächste Woche soll ich in Danzig sein. So schaffen wir das nie. Damit bringt Ihr all meine Pläne durcheinander!«
»Ruhig Blut«, suchte Carlotta ihn zu beschwichtigen. »Bis nächste Woche bleibt noch viel Zeit, Danzig zu erreichen. Warum geht es heute nicht weiter?«, fragte sie den Fuhrmann. »Denkt Ihr nicht, es reißt noch auf?«
»Wenn es nur das wäre!« Der Mann schüttelte den Kopf, um zur Freude der Anwesenden auch seinen langen Bart von Schneeresten zu befreien. »Eben kam der Postreiter aus Heiligenbeil. Die Straße ist unpassierbar, weil dort die Kurfürstlichen mit dem Gefangenen Hieronymus Roth entlangziehen. Bis morgen ist da kein Durchkommen. Und selbst dann wird es nicht schnell weitergehen, weil die Kurfürstlichen niemanden an sich vorbeilassen.«
Ein verschwörerisches Blitzen beleuchtete sein Gesicht. Er beugte sich vor und raunte hinter vorgehaltener Hand: »Sie haben wohl die Hosen gestrichen voll, es könnte einer kommen und ihnen den braven Roth aus den Klauen reißen. Das muss ein Aufmarsch sein, als geleiteten sie den polnischen König mitsamt dem Hofstaat höchstpersönlich bis Kolberg.«
Sein Lachen polterte nicht weniger laut als das Stapfen seiner Stiefel vorhin.
»Müssten die nicht längst schon am Ziel sein? Vor mehr als zwei Wochen sind sie aus Königsberg fort.« Fragend sah Carlotta zu Tromnau. Der vollbärtige Kaufmann aus dem Löbenicht schien stets bestens Bescheid zu wissen.
»Pah! Was die Kurfürstlichen müssten!«, lachte er und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Becher aufsprangen und die Teller gegeneinander klirrten. Ein schrumpeliger Apfel kullerte quer über den Tisch. Erschrocken sahen alle zu dem Kaufmann herüber. Der scherte sich nicht darum, sondern richtete sein Augenmerk allein auf Carlotta.
»Die müssen gar nichts, liebes Kind«, erklärte er belustigt. »Am wenigsten das, was wir von ihnen erwarten. Also marschieren sie, so schnell sie wollen. Und das tun sie nicht von ungefähr. Wie es scheint, ist es nicht ganz zufällig herausgekommen, dass sie Roth nach Kolberg bringen werden. Der Kurfürst wird wissen, wie er mit dem aufmüpfigen Burschen aus Eurem feinen Kneiphof umzuspringen hat. Je länger es dauert, bis er in seinem Verlies ankommt, desto mehr Zeit bleibt seinesgleichen im Kneiphof, noch einmal gut darüber nachzudenken, wie sie zu ihrem Schöppenmeister und seinen Vorstellungen wirklich stehen. Vielleicht fällt ihnen in der Zwischenzeit auf, wie aussichtslos es ist, sich gegen die Wünsche des Kurfürsten zu sperren. Damit ist uns allen gedient. Höchste Zeit, dass dieser unsägliche Landtag zu Ende geht und man weiß, wie es sich künftig bei uns in Preußen verhält.«
»Dann steht Ihr also ganz auf Seiten des Kurfürsten.« Carlottas Frage klang eher wie eine Feststellung. Tromnau starrte sie unverhohlen an.
»Aber sicher, mein Kind. Wieso fragt Ihr noch?« Kaum merklich flackerte Unsicherheit in seinen hellen Augen. Betont räusperte er sich. »Friedrich Wilhelm ist uns ein guter Kurfürst. Er wird wissen, warum er ein stehendes Heer verlangt und nicht bei jedem Schritt den Rat der Landstände einholen will. In Ländern wie Frankreich kann man sehen, welche Vorteile es bringt, dass der Regent frei entscheiden kann. Das Land wird stark und gewinnt an Einfluss. Was die letzten Jahre bei uns geschehen ist, war alles andere als gut. Wir haben Glück gehabt, noch einigermaßen glimpflich aus all den Händeln mit den Polen
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