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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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verschwammen die Uferlinien der Nehrung im Schneedunst, dennoch war zu erahnen, wovor sie den Studenten warnen wollte. Der Fischer war auf dem Eis ins Schlittern geraten. Heftig mit den Armen rudernd, versuchte er, den drohenden Sturz zu vermeiden. Doch er hatte Glück im Unglück: Das Eis trug ihn, er brach nicht ein.
    Der Wind blies Carlotta immer heftiger ins Gesicht. Entschlossen wandte sie sich von der Hügelkuppe ab und stapfte durch den knöcheltiefen Schnee zurück auf die ersten Häuser der Lischke zu. Nach wenigen Schritten bereits sog sich das Leder ihrer Stiefel abermals mit Nässe voll. An den Sohlen klebten Schnee und Matsch. An ein schnelles Vorankommen war nicht zu denken. Thiesler folgte ihr dicht auf den Fersen.
    »Ich glaube«, rief er atemlos, »wir beide stehen einander in nichts nach, was unsere Haltung zu den jüngsten Ereignissen am Pregel betrifft. Vielleicht sollten wir einen geheimen Bund gegen unsere Reisegefährten schmieden. Was haltet Ihr davon?«
    »Wollt Ihr das wirklich wissen?« Sie blieb so jäh stehen, dass er direkt in sie hineinrannte.
    »Oh, verzeiht«, murmelte er.
    »Ihr als Student neigt natürlich zu geheimen Bünden und Allianzen. Das kann man im Kneiphof rund um die Albertina gut beobachten. Doch nehmt es mir nicht übel, lieber Thiesler, ich für meinen Teil möchte mich von diesem Treiben fernhalten. Ich bleibe lieber allein, als mich einem anderen, den ich kaum kenne, blindlings anzuvertrauen.«
    3
    D as aufgeregte Kläffen der Hunde am nordöstlichen Dorfeingang ließ sie beide herumfahren. Jenseits des Dorfes, die Straße nach Norden herauf, staubte eine dichte Wolke Schnee auf. Nach und nach schälten sich darin die Umrisse eines Reiters heraus. In halsbrecherischem Galopp preschte die Gestalt auf einem schwarzen Pferd heran.
    »Der Postreiter aus Königsberg? Um diese Stunde?«
    Verwundert sah Carlotta zum Kirchturm. Gut sichtbar ragte dessen Spitze in den grauen Winterhimmel, allerdings zu weit entfernt, um im seichten Schneetreiben die goldenen Zeiger auf der Uhr darunter auszumachen. Dennoch war Carlotta sicher: Bis Mittag mochte noch eine ganze Weile vergehen.
    Der Reiter hielt geradewegs auf sie zu. Ohne Angst sah Carlotta ihm entgegen, dann aber jagte eine Katze von links heran und schoss laut fauchend quer über die Straße. Das verhieß Unglück! Bis zur schützenden Palisade um das Dorf war es noch ein gutes Stück. Nur wenige kahle Sträucher säumten den Weg. Nirgendwo war Schutz zu finden. Da bemerkte Carlotta das besondere Fell des Tiers. Der schwarz-weiß gefleckte Kopf saß auf einem bräunlich-weiß getigerten Körper. Drei Farben bei einer Katze bedeuteten Glück. Das wog das Auftauchen von links auf.
    »Beiseite!«, rief Thiesler und machte Anstalten, sie von der Straße zu ziehen.
    »Lasst mich!«, herrschte sie ihn an. »Er wird mich schon nicht niedertrampeln.«
    Jetzt, da die Gefahr gebannt war, wuchs ihre Neugier. Schon von weitem meinte sie zu erkennen, dass der Reiter kein gewöhnlicher Reisender war. Also wollte sie wissen, was ihn zu dem halsbrecherischen Tempo veranlasste. Je näher er kam, desto deutlicher stieg ein anderes Bild aus den letzten Wochen in ihr auf. Die Erinnerung trog sie nicht: Bald war sie sicher, zwar keinen kurfürstlichen Dragoner in blaurotem Rock und roten Hosen mit hohen, ledernen Stulpenstiefeln vor sich zu haben. Dafür aber verriet nicht allein die besondere Haltung, dass der Mann trotz seiner unauffälligen Kaufmannskleidung in Wahrheit dem Heer angehörte. Als er auf wenige Schritte heran war, war sie sich sicher, wen sie vor sich hatte: Mathias! Ein spitzer Schrei entfuhr ihr. Zumindest war somit klar, dass Christoph seine Drohung nicht wahr gemacht und ihn umgebracht hatte. Was aber war umgekehrt mit Christoph geschehen?
    Mit einem energischen »Hooooooo« brachte Mathias seinen Rappen dicht vor ihr zum Stehen. Thiesler, der meinte, der Reiter wäre ihr zu nahe gekommen, sprang todesmutig aus dem Gebüsch.
    »Halt!« Warnend hob er die eine Hand, während er die andere Carlotta entgegenstreckte, jederzeit bereit, sie aufzufangen. Das Pferd schnaubte und schüttelte die Mähne, tänzelte unruhig auf der Stelle. Mathias flüsterte ihm beruhigende Worte ins Ohr und warf dann einen überraschten Blick auf Carlotta und Thiesler.
    »Was machst du hier?«, fragte Carlotta.
    An Mathias’ Blick wurde ihr klar, dass er sie noch nicht erkannt hatte. Sie befreite ihr Gesicht von dem Schal und sah zu ihm auf. Blaue

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