Das Bernsteinerbe
anders. Sie beschloss, bei ihrer Rückkehr Caspar Pantzer darauf anzusprechen. Kaum dachte sie an den Apotheker, überkam sie neuerliche Bitternis. Blieb er ihr gut, trotz des Bruchs mit Christoph? Weiterhin war sie bei der Bernsteinessenz und der Wundersalbe auf ihn angewiesen. Sofort stand ihr Christophs wutverzerrtes Gesicht vor Augen, ein dicker Kloß blockierte ihr die Kehle. Wie hatte er es wagen können, den Bernstein ins Feuer zu werfen? Wieder meinte sie, den harzigen Rauch zu riechen. Verstohlen wischte sie sich die Augenwinkel, die Finger glitten an den Hals und fassten ins Leere. Der Bernstein war für immer verloren, genau wie ihre Liebe zu Christoph.
»Natürlich werden wir nicht ohne Euch weiterreisen«, stellte Magdalena gerade mit einem freundlichen Lächeln klar. Mahnend legte sie Carlotta die Hand auf den Arm und drückte ihn fest, als ahnte sie, woran ihre Tochter derweil dachte. »Zwei Frauen allein haben gar keine Chance, heil ans Ziel zu gelangen. Ihr seid der Anführer unserer Gruppe, verehrter Tromnau. Ihr wisst am besten, was in der derzeitigen Lage zu tun ist. Zwar heißt es so schön zum heutigen Tag: ›Fällt auf Eligius ein kalter Wintertag, die Kälte vier Monate dauern mag.‹ Doch muss das nicht bedeuten, dass es fortan jeden Tag zu viel Schneegestöber und Gegenwind gibt, um voranzukommen. Es ist ja nicht nur das Wetter, das das Reisen in unseren Gefilden erschwert. Meine Tochter und ich haben es also einzig Eurer Güte zu verdanken, überhaupt so rasch aus Königsberg fortgekommen zu sein. Ob wir heute oder morgen in Frauenburg eintreffen, spielt dagegen keine sonderlich große Rolle. Hauptsache, wir gelangen mit Eurer Hilfe überhaupt sicher dorthin.«
Als Carlotta das Gesicht verzog, trat Magdalena mit dem Fuß gegen ihr Bein. In zuckersüßem Ton schlug sie vor: »Lass uns den köstlichen Imbiss genießen, mein liebes Kind, und geduldig abwarten, was uns der Tag noch bringen wird. Vielleicht reißt der Himmel schneller auf als erwartet, und wir können los.« Gleich spießte sie mit der Messerspitze einen dicken Brocken Käse auf und steckte ihn in den Mund.
»Greif zu«, forderte sie Carlotta beim Kauen auf. »Der ist wirklich bestens. Du hörst ja, uns bleibt alle Zeit der Welt, uns erst einmal in Ruhe an den leckeren Speisen gütlich zu tun. Gott sei Dank ist die hiesige Krügerin eine hervorragende Köchin. Da wird es uns nicht schwerfallen, den lieben, langen Tag mit Essen zu verbringen.«
Carlotta entging das spöttische Zwinkern nicht, mit dem die Mutter die Worte begleitete. Das munterte sie auf. Magdalena hatte recht: Die Löbenichter Zunftgenossen trauten ihnen nicht im Geringsten zu, die Lage richtig einzuschätzen. Sie hielten sie für zwei unbedarfte Kaufmannsfrauen, die zeit ihres Lebens kaum weiter als bis zum Bärenkrug auf dem Steindamm außerhalb der Altstadt gereist waren. Wie würden sie staunen, wenn die Mutter ihnen erzählte, mehr als die Hälfte ihres Daseins im Tross des kaiserlichen Heeres verbracht zu haben! Es wäre ihr ein Leichtes, den Fuhrwagen selbst zu lenken und sogar im dichten Schneetreiben unbeschadet bis Frauenburg zu gelangen.
»Sagt, verehrte Frau Grohnert«, schaltete sich Thiesler ein, »heißt es nicht, Ihr seid im Großen Krieg eine bekannte Wundärztin gewesen? Dann habt Ihr einen Großteil Eures Lebens unterwegs verbracht, seid jahraus, jahrein mit den Wagen übers Land gezogen, ganz gleich, ob es geregnet, geschneit oder die Sonne vom Himmel gebrannt hat. Es muss Euch lächerlich erscheinen, bei der jetzigen Witterung nicht weiterzufahren.«
Neugierig schaute er zu Magdalena. Auf Tromnaus und Hohoffs Gesichtern wechselten in schneller Folge Erstaunen, Entsetzen und Bewunderung.
»Ihr habt recht, mein guter Thiesler«, stimmte Magdalena fröhlich zu. »Ich bin tatsächlich im Tross des kaiserlichen Heeres aufgewachsen. Deshalb weiß ich nur zu gut, was es heißt, bei dichtem Schneetreiben mit den beladenen Wagen stecken zu bleiben oder im Schlamm zu versinken. Umso mehr genieße ich die Annehmlichkeit, heute im Trockenen sitzen und mich am Ofen wärmen zu dürfen.«
Thiesler war verblüfft. Die beiden Löbenichter Kaufleute aber konnten sich ein zustimmendes Nicken nicht versagen. Allmählich hellte sich Tromnaus düstere Miene auf, bald war gar ein wohlgefälliges Lächeln zu erkennen. Zunächst wollte Thiesler widersprechen, doch dazu kam er nicht. Die Tür des Gasthauses schwang auf. Neugierig wandten sich alle um. Eine
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