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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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bemühte sich Carlotta, gleichgültig zu wirken. Wie zufällig näherte sie sich der Fensterfront, spielte mit dem Bernstein, sah auf die Straße. Einige Atemzüge lang beobachtete sie einen Laufburschen, der gerade die neueste Ausgabe des Europäischen Mercurius ausrief. Offenbar hatte er Mühe, Abnehmer für das Blatt zu finden. Der Kurfürst rückte also doch nicht so schnell mit seinen Truppen gegen Königsberg an, sonst hätten ihm die Kneiphofer vor Neugier die Zeitung aus den Händen gerissen.
    »Es hat mir leidgetan, dich gleich wieder aus den Augen zu verlieren«, fuhr Carlotta fort. »Wir hatten uns doch gerade erst kennengelernt. Außer dir habe ich niemanden sonst im Kneiphof gekannt. Besonders freundlich waren die Leute ohnehin nicht. Erinnerst du dich nicht? Du selbst hast mir erzählt, wie seltsam sie meine Mutter fanden, die Wundärztin sein wollte und keinen Kneiphofer Arzt oder Medicus gerufen hat, um meinen Vater zu retten. Als er dann starb, schien das dieses Gerede vollauf zu bestätigen. Noch dazu, da mein Vater ein Grohnert war und sie eine Singeknecht ist. Du hast die uralte Geschichte mit der erbitterten Fehde zwischen den Familien sicher mitbekommen.«
    Carlotta schwieg nachdenklich. Die Vorfälle von damals bewegten sie noch immer. Lina hingegen tat, als hörte sie gar nicht zu. Von neuem kratzte und polierte sie an einem hartnäckigen Schmutzfleck, bis es unerträglich in den Ohren quietschte. Schon fürchtete Carlotta, das Glas trüge Schaden davon.
    »Hier!« Sie hielt Lina die Reste der Zitrone unter die Nase. »Noch gibt sie ein bisschen Saft. Wäre schade, den verkommen zu lassen.«
    »Danke.« Ohne aufzusehen, nahm Lina die Frucht und presste sie gegen das Glas, rieb gleich mit dem Leinentuch nach, bis es fleckenfrei glänzte. »Der Fritz ist gekommen und hat mich geholt«, sagte sie beiläufig, als sie mit dem Resultat zufrieden war. Flink versenkte sie die Zitronenreste in den Tiefen ihres Rocks, bückte sich zum Eimer und wusch den Lappen aus.
    »Und?« Interessiert riss Carlotta die blauen Augen auf. »Dann war also die Gelegenheit endlich günstig für eure gemeinsame Flucht? Bist du mit ihm wie geplant auf eine der Koggen geschlichen und davongesegelt?«
    Verträumt wanderte ihr Blick aus dem offenen Fenster, über das nachmittägliche Gewusel auf der Langgasse in weite Fernen, ganz so, als machte sie am sich rot verfärbenden Firmament das Schiff aus. Auf einmal hatten sie sich wieder in die beiden halbwüchsigen Mädchen verwandelt, die in jenem Sommer vor vier Jahren an ihrem geheimen Platz am Pregelufer gehockt, die Schiffe am gegenüberliegenden Hundegatt beobachtet und sich über ihre kühnen Zukunftspläne unterhalten hatten.
    »Nein!«, rief Lina unerwartet und schleuderte den Lappen zurück in den Putzeimer. Das laute Platschen riss Carlotta aus ihren Gedanken. Wasser spritzte auf, nasse Tropfen landeten auf ihrem Rock. Mit den Pantoffeln stand sie mitten in einer Pfütze. Erschrocken sah sie Lina an. Die grünblauen Augen der Magd bohrten sich tief in die ihren, das strohblonde Haar stand wirr von Linas Kopf, die Sommersprossen glühten auf dem runden Gesicht.
    Stumm starrten sie einander an. Lang war das nicht auszuhalten. Lina kapitulierte als Erste. Im nächsten Moment platzte auch Carlotta vor Lachen. Glucksend quoll es aus ihnen heraus. Sie wischten sich die feuchten Augenwinkel, bis sie wie auf Kommando gleichzeitig die Arme ausbreiteten und einander wortlos entgegenfielen. Nach einigem Schluchzen traten sie wieder auseinander.
    »Leider sind wir Weibsbilder immer zu gutgläubig.« Lina holte tief Luft, raffte das aufgelöste Haar zu einem Zopf und schlang diesen als Knoten auf ihren Hinterkopf. »Fritz hat da was ganz anderes im Sinn gehabt als ich. Aber so geht es wohl immer. Die Burschen wollen halt doch nur das eine. Oder hast du andere Erfahrungen?«
    Wie schon damals, als sie am Pregelufer über diese Dinge geredet hatten, huschte auch jetzt wieder eine leichte Röte über Carlottas Gesicht. Verlegen zwirbelte sie eine rotblonde Locke um den Zeigefinger und wich Linas Blick aus. »Hm«, war alles, was sie herausbrachte. Darüber wurde ihr noch heißer. Wahrscheinlich leuchtete ihr Gesicht inzwischen wie ein ausgehöhlter Kürbis mit Kerze.
    »Es ist doch immer das Gleiche.« Lina schien nichts von alledem zu bemerken, richtete den Blick aus dem Fenster, in den violetten Spätnachmittagshimmel hinein. »Natürlich ist es mit Fritz genauso ausgegangen, wie

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