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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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das haben wir gleich«, ertönte eine geschäftige Stimme von der Tür. Erschrocken fuhr Carlotta herum. Schnaubend stapfte Lina herein. War das Vorsehung? Kaum dachte sie an Lina, stand sie bereits vor ihr, genauso tolpatschig wie vor vier Jahren. Der hölzerne Putzeimer polterte dumpf, als sie ihn auf den Dielen abstellte. Gleich schwappte eine ordentliche Ladung Wasser heraus und breitete sich zu einer weitläufigen Lache um den Eimer aus. Lina nestelte einen leinenen Lappen aus der Schürze, wischte allerdings nicht trocken, sondern schlurfte mit den Holzpantinen zur Fensterfront.
    Ehe Carlotta etwas dagegen einwenden konnte, riss sie den äußersten Flügel des rechten Fensters auf. Wie eine Wolke wehten die Geräusche von draußen herein: das Rattern der Wagen über das holprige Pflaster, die Stimmen der vielen Menschen, das Bellen der Hunde und das Fauchen der Katzen. Lina versagte sich den neugierigen Blick nach unten. Ihr rundes Gesicht strahlte vor Eifer. Schon hauchte sie auf die erste Scheibe zwischen den Bleisprossen und begann zu wischen.
    »Das mit dem Fensterputzen ist einfacher, als man denkt«, plapperte sie los. Zwar klang sie etwas kurzatmig, aber das hielt sie nicht vom Reden ab. Das Augenmerk allein auf die Scheibe gerichtet, würdigte sie Carlotta keines Blickes. Die eine Hand am hölzernen Rahmen, die andere Hand mit dem Lappen auf der Scheibe, schrubbte sie, als gelte es, mit dieser Arbeit einen Tapferkeitsorden zu verdienen. »Der erste Fehler war schon, das letztens bei strahlendem Sonnenschein zu tun. Versteht mich nicht falsch, nichts gegen Milla oder sonst jemanden im Haus. Aber das weiß man als Magd aus Erfahrung: Bei schönem Wetter kann man wienern, so viel man will, das gibt immer Streifen. Deshalb habe ich auch bis heute Nachmittag gewartet, bevor ich mich an die Fenster hier in der Wohnstube mache. Wenn die Sonne verschwunden ist, ist es ein Leichtes, die wertvollen Scheiben sauber zu bekommen. Immerhin gehen die nach vorn zur Langgasse hinaus, und das so nah an der Krämerbrücke. Jeder aus dem Kneiphof und der Altstadt kommt hier vorbei. Da wollen wir doch nicht, dass es heißt, die Grohnerts achten nicht auf das schöne Haus ihrer Ahnen! Schließlich gilt es völlig zu Recht als das prächtigste in der ganzen Straße, ach, was sage ich: auf der ganzen Dominsel!«
    Sie hielt inne und begutachtete das Glas. Eine Taube wagte sich keck auf das Fenstersims. Ihr Gurren erfüllte den Raum. Ohne hinzusehen, wedelte Lina sie mit dem Tuch fort, hauchte bereits wieder auf die Scheibe, wischte und kratzte, bis die Fingernägel auf dem Glas quietschten. Am liebsten hätte Carlotta sich die Ohren zugehalten. Lina jedoch schien nichts davon zu bemerken, sondern gab sich mit Leib und Seele der Säuberung der Fensterscheibe hin.
    Aufmerksam musterte Carlotta die rundliche Frau. Von der Anstrengung des Putzens lugte die Zungenspitze zwischen den Lippen hervor, die Stirn war in Falten gelegt. Eine Strähne des dicken strohblonden Haars wippte im Takt der Wischbewegungen vor der Nasenspitze hin und her. Wenn sie nicht gerade auf die Scheibe hauchte oder redete, versuchte sie, die Haare wegzupusten. Carlotta schmunzelte. Seit dem Sommer vor vier Jahren, als sie sich kennengelernt hatten, hatte Lina sich auf den ersten Blick kaum verändert. Dennoch wirkte sie nicht mehr vertraut, ganz anders als damals, als sie gemeinsam in der Kammer unter dem Dach gewohnt hatten, während ihr Vater unten im Gastzimmer des Grünen Baums …
    »Das ist aber hartnäckig!«, platzte Lina in ihre Gedanken und kratzte erneut enervierend mit den Nägeln über die Scheibe. »Wann hat Milla die Fenster geputzt? Da hängt noch der ganze Sommer dran!« Als alles Kratzen, Quietschen und Schrubben nichts nutzte, schwang sie sich das feuchte Leinen über die Schulter und wühlte in den Falten ihres groben Rocks. Mit einem triumphierenden Lächeln förderte sie eine halbe Zitrone zutage und hielt die gelbe Südfrucht stolz in die Luft. Entsetzt riss Carlotta die Augen auf. »Woher hast du – weißt du, wie viel …«, stammelte sie, doch die rundliche junge Frau winkte ab. Ihre Augen strahlten, als sie stolz beschwichtigte: »Vertraut mir, liebe Carlotta, natürlich weiß ich, wie viel ich davon brauche. Das ist genau das Richtige, um die kostbaren Fenster zu behandeln. Damit rücke ich jedem Dreck zu Leibe.«
    Sie drehte sich wieder dem Fensterflügel zu. Die Zungenspitze zwischen den Lippen, presste sie den sauren Saft

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