Das Bernsteinerbe
Adelaide ab. »Seit der Nacht vor Thorn lebe ich allein von meinen Apothekerinnenkünsten. Einzig die zu unterstützen, gestatte ich dem guten Helmbrecht. Doch komm endlich und sieh es dir mit eigenen Augen an.«
Sie winkte auch Carlotta und Hartung, ihnen wieder dichter zu folgen. Die beiden hatten rasch begriffen, wie wichtig es für die Frauen war, unter vier Augen zu sprechen, und Abstand gehalten.
»Die Zeit drängt«, rief Adelaide. »Heute Mittag muss ich gemeinsam mit unserem Doktor den täglichen Rundgang unternehmen. Wenn Ihr also etwas sehen wollt, dann bitte jetzt.«
In großen Schritten eilte sie den Gang hinunter, so dass sie Mühe hatten, Schritt zu halten. Es blieb keine Zeit, die mit Gemälden reich verzierten Wände zu bewundern. Auch die im weiteren Verlauf des Flurs zahlreicher werdenden Nonnen und Helferinnen konnten sie kaum eines Blickes würdigen. Schon bog Adelaide um eine Ecke und verschwand aus ihrem Blickfeld.
Je weiter sie ins Innere des Hospitals vordrangen, desto wärmer wurde es. Die ersten Kamine in den Krankenstuben rechts und links des Flurs taten ihre Wirkung. Im Gehen entledigte sich Magdalena ihres Schals und ihrer Heuke, warf beides locker über den Arm. Der Duft von Räuchermitteln erfüllte die Luft. Insbesondere Myrrhe stach dabei hervor, was angesichts der Jahreszeit nicht verwunderte. Husten und Schnupfen quälten viele Patienten, wie an den Geräuschen aus den Stuben zu erkennen war. Auch Wacholderzweige wurden verbrannt. Der Rauch sollte vor Ansteckung schützen. Kurz vor Erreichen der Offizin begegnete ihnen eine Schwester, die einige Tropfen Lindenblütenwasser versprengte. Lächelnd verneigte sie sich.
»Damit es nicht gar zu schlimm riecht«, erklärte Adelaide und öffnete die Tür zu ihrem Reich. »Du kennst meine Vorliebe für besondere Düfte.«
»Nur zu gut.« Die Erinnerung schmerzte. Wie oft hatte Adelaide sich in Frankfurt heimlich an Magdalenas kostbarem Rosenöl bedient.
Zu Magdalenas Staunen entpuppte sich die Offizin als großzügiger quadratischer Saal, den ein langgestreckter Tresen in der Mitte beherrschte. Darauf reihten sich vergoldete Waagen in mehreren Größen, die unterschiedlichsten Gewichte, drei Destilliergeräte sowie ein Mikroskop aneinander. Es gab kein eigenes Laboratorium zum Mischen der Rezepturen. In den vom Boden bis zur Decke reichenden Regalen an den Wänden ringsum herrschte penible Ordnung, selbst auf der Fensterseite setzten sich die Regale fort und fassten die Fensterstürze rundherum ein. Lediglich in der hinteren Ecke unterbrach ein blau-weiß gekachelter Ofen die Holzregale. In sämtlichen Regalen waren Ton- und Glasgefäße der Größe nach geordnet. Akkurat beschriftete Schilder erteilten Auskunft über die darin enthaltenen Kostbarkeiten. In einem Regal befanden sich zudem dicke Folianten und Bücher. Bewundernd drehte sich Magdalena einmal um die eigene Achse. Ihr Blick fiel auf ein Stehpult. Darauf lag ein dickes Kräuterbuch, aufgeschlagen auf einer Doppelseite mit farbenprächtigen Pflanzenzeichnungen.
»Das ist einer meiner größten Schätze«, erklärte Adelaide stolz.
»Ich sehe schon«, bemerkte Magdalena zufrieden. »Du hast dein Zuhause gefunden.«
10
A nschwellender Lärm auf dem Flur ließ die Frauen im Betrachten des Kräuterbuchs innehalten. Rufe erklangen, aufgeregte Schritte näherten sich.
»Da muss etwas passiert sein«, verkündete Hartung überflüssigerweise und wies auf die Tür. Schon schwang der Flügel auf, und eine aufgeregte Novizin stürmte herein. Hartung blieb nur, zwei Schritte nach hinten zu springen, sonst wäre ihm die Tür gegen den Kopf geschlagen. Im Hintergrund des Flurs verharrten zwei weitere Nonnen, hielten sich aufgeregt an den Händen und spähten neugierig in die Apotheke. Die Rufe auf dem Gang verebbten, dennoch war die Ordnung im Spital eindeutig gestört.
»Entschuldigung, Verehrteste.« Vor Aufregung versagte der Novizin die Stimme. Bleich stand sie vor Adelaide, die in ihrer Witwenkleidung und der hoch aufragenden Gestalt auf einmal furchteinflößend wirkte. Die junge Frau in der schwarz-weißen Ordenstracht schluckte, griff sich an die Kehle. »Kommt bitte! Schnell!«, brachte sie schließlich heraus, stürzte sich auf Adelaide und rüttelte sie am Arm. Dann aber wurde sie sich der Ungeheuerlichkeit ihres Auftritts bewusst, und sie versank vor Scham fast im Boden. Stumm wies sie durch die offene Tür zum Flur, wagte doch noch einmal, die Stimme zu erheben. Zu
Weitere Kostenlose Bücher