Das Bernsteinerbe
silberne Fäden darin. Die große Nase sowie die dunkel umschatteten Augen unterstrichen die Blässe des ebenmäßigen Gesichts. Kaum eine Falte verunzierte die glatte Haut. Tiefrot leuchteten die feingeschwungenen Lippen, verliehen dem hellen Teint einen munteren Farbtupfer. Die schlichte, schwarze Gewandung betonte die Linien des schlanken Leibes. Dank der tadellosen aufrechten Haltung wirkte sie jünger, als sie war. Magdalena meinte, sie müsste längst die vierzig erreicht haben. Unwillkürlich zupfte sie an ihrer Heuke, streckte den Rücken gerader durch, um neben der ehrfurchtgebietenden Erscheinung nicht zu klein und unscheinbar zu wirken. Ohne Scheu sah Adelaide sie an, wandte sich dann zu Carlotta, nickte ihr zu, kehrte zu Magdalena zurück.
»Lange nicht gesehen, meine Liebe.« Mit einem spöttischen Lächeln um den Mund sah sie ihr entgegen. »Es freut mich von Herzen, dich bei bester Gesundheit anzutreffen.«
»Verzeiht, meine Damen«, mischte sich Hartung unter beflissenen Verbeugungen ein. »Mir ist wohl zum zweiten Mal heute ein schwerwiegender Fehler unterlaufen. Gerade erst habe ich von Frau Steinacker erfahren, dass Ihr Euch noch aus der Zeit in Frankfurt kennt.« Sein rundes Gesicht rötete sich, Schweiß trat ihm auf die Stirn. »Dabei hätte ich es längst wissen können! Immerhin hat mir Euer verehrter Herr Gemahl häufig von seinem Vetter in Frankfurt erzählt. Einmal bin ich ihm sogar selbst begegnet. Es war in Venedig, im Spätsommer 1657. Euer Gemahl war damals, soweit ich mich erinnere, zum letzten Mal jenseits der Alpen. Ist auf dem Rückweg nicht jene schreckliche Bluttat geschehen? Ach, verzeiht, verehrte Frau Steinacker«, dieses Mal machte er zu Adelaide hin einen unterwürfigen Kratzfuß, »es hat sich also um Euren verehrten Herrn Gemahl gehandelt, der seinerzeit sein Leben verloren hat. Ich bin zutiefst betroffen und gleichzeitig beschämt, erst jetzt diese Zusammenhänge zu begreifen.«
»Nichts für ungut, mein Bester«, erklärte Adelaide mit ihrer betörenden, vollen Stimme. »Wie hättet Ihr wissen sollen, wie das alles zusammenhängt? Ich habe Euch vorhin schon gesagt, dass es bis heute nicht in meinem Interesse gelegen hat, viel Aufhebens um meine Vergangenheit zu machen. Umso mehr freue ich mich, dich, meine liebe Magdalena, und deine Tochter endlich wieder in die Arme zu schließen.«
Sie breitete die Arme aus, als wollte sie den Worten sogleich Taten folgen lassen. Magdalena zögerte jedoch.
»Die Freude ist ganz meinerseits«, erwiderte sie und verharrte auf ihrem Platz.
Überrascht zog Adelaide die Augenbrauen nach oben und ließ die Arme wieder sinken. »Schön«, erklärte sie knapp. »Dann lasst uns am besten gleich in die Apotheke hinübergehen. Die zu sehen, seid ihr schließlich den Berg hinaufgestiegen.«
Einladend wies sie mit der Hand den Flur entlang. Hartung räusperte sich verlegen. Dann aber siegte wieder einmal sein Stolz über die zu präsentierenden Schätze.
»Ihr werdet staunen, meine Damen, welche Errungenschaften die verehrte Steinackerin bereithält. Ein Segen für unser Hospital, sie vor einigen Jahren als Apothekerin für die Offizin gewonnen zu haben. Davor lag die Apotheke lange brach. Es fehlten eine verständige Hand und das fachkundige Wissen, dieses Kleinod wieder zu alter Größe aufzubauen.« Er lächelte gezwungen. Adelaide schüttelte sacht das Haupt.
»Ihr übertreibt, mein Bester. Es war ein riesiges Glück für mich, dass der verehrte Helmbrecht mir damals diese Möglichkeit vermittelt hat. Meine liebe Magdalena«, sie lächelte die rothaarige Base an, »du kannst ein Lied davon singen, wie sehr ich mich einst dagegen gesträubt habe, den von meinen Eltern und Großeltern ererbten Beruf auszuüben. Schreckliche Erinnerungen haben mich lange Zeit daran gehindert, dieses Erbe anzutreten.«
Sie fasste Magdalena an der Hand, zog sie entschlossen ein Stück weit von den anderen weg, den schmalen Gang zur Apotheke voran. Überrascht folgte Magdalena ihr.
»Meine Liebe«, wisperte die Base, »du glaubst nicht, wie sehr ich mich freue, dich wiederzusehen. Als Hartung vorhin bei mir aufgetaucht ist, wollte ich meinen Ohren nicht trauen. Ich danke dem Zufall, der dich hierhergeführt hat. Mir hat bislang der Mut gefehlt, den ersten Schritt zu tun.«
»Dabei wäre es so einfach gewesen«, entgegnete Magdalena. In ihrem Innern tobte ein heftiger Kampf. Zu gern wollte sie Adelaide einfach an ihr Herz drücken, die Vergangenheit
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